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S21: Rosenstein bleibt Park, Gleise bleiben oben

10. September 2024

Beim Projekt Stuttgart 21 herrscht mal wieder helle Aufregung. Grund dafür ist eine Änderung im Allgemeinen Eisenbahngesetz, die seit Ende 2023 in Kraft getreten ist. Deren Auswirkungen sind inzwischen dem Städtetag aufgefallen und die Träumer in Stuttgart wurden aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Schon bislang durften vom Bahnbetrieb freiwerdende Grundstücke nicht einfach anderweitig verwendet werden. Dies ist nur dann zulässig, wenn aktuell kein Bedarf für eine weitere Nutzung zu Bahnbetriebszwecken besteht und auch in Zukunft mit keinem derartigen Bedarf zu rechnen ist. 

Änderung will Fehler der Vergangenheit meiden

Neu im Gesetz ist nun aber, dass der Erhalt eines solchen Grundstücks „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegt. Die Freistellung von Bahnbetriebszwecken darf nur zugunsten anderer noch wichtigerer Zwecke erfolgen. Solche ebenfalls überragenden öffentlichen Interessen sind in anderen Gesetzen definiert, z. B. für Wind – oder Solarenergieanlagen, für militärische Zwecke, auch für Autobahnbau. 

Ein besonders überragender Zweck ist nach dieser Definition der Wohnungsbau nicht. Dahinter steht der Wille, die Fehler der Vergangenheit künftig zu vermeiden. Denn oft wurden ursprünglich Bahnzwecken dienende Grundstücke anderweitig genutzt mit der Folge, dass sie nicht mehr zur Verfügung standen, wenn sich nachträglich wieder ein Bedarf für den Bahnbetrieb ergab. 

Dumm nur, dass sich die Landeshauptstadt seit Jahrzehnten darauf verlassen hat, irgendwann nach Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs das Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs mit dem Rosensteinquartier bebauen zu können. Darüber hat man vergessen, sich sofort um die Wohnungsnot zu kümmern und für bezahlbare Mieten zu sorgen. Andere Flächen, die längst hätten bebaut werden können, liegen brach. 

Die Immobilienhaie wollen die Bebauung der Frischluftschneise ohne Rücksicht auf das Klima in Stuttgart

Spätere Bebauung lindert keine aktuelle Wohnungsnot

Nicht erst seit den wiederholten Verschiebungen der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 war klar, dass das Rosensteinquartier die aktuelle Wohnungsnot nicht würde lindern können. Allein die sich nach der erhofften Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs anschließende Freimachung des Geländes samt Beseitigung von Altlasten und die notwendigen Erschließungsarbeiten werden viele Jahre benötigen und Unsummen kosten. 

Anstatt sich wenigstens jetzt um bezahlbaren Wohnraum zu kümmern, hat nun der Kampf gegen Windmühlenflügel begonnen. Mit großem Getöse wird gefordert, für Stuttgart 21 eine Ausnahme von der zwingenden Vorschrift zu machen. Obwohl zahlreiche Gemeinden in ganz Deutschland in ihren Entwicklungsmöglichkeiten genauso eingeschränkt werden, will Stuttgart seine Extrawurst. Der Kampf um ein Schlupfloch („Lex S21“) hat bereits begonnen. 

OB Nopper fordert Ausnahme für Stuttgart 21

Erste Bastionen wanken. So hatte Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen, noch im Juni bei einer Veranstaltung in Singen die Gesetzesänderung durch die Ampelkoalition gerühmt. Inzwischen hat er jedoch erklärt, er könne sich eine Änderung des Gesetzes vorstellen, um die Bebauung zu ermöglichen. Mit teils unsachlichen Angriffen gegen den Bundestag und die Verfechter der Änderung rüsten OB Dr. Frank Nopper, Haus&Grund und Vertreter der Bauwirtschaft zum letzten Gefecht. 

Dabei ist die Rechtslage klar: Die Stadt, welche der Bahn das Gelände bereits 2001 abgekauft hatte, konnte beim zuständigen Eisenbahn-Bundesamt noch keinen Antrag auf Freistellung stellen. Denn der Kopfbahnhof wird mit seinen Anlagen bis zu einer Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs weiter benötigt. Es könnte aber für die Immobilienlobby noch viel schlimmer kommen. Nach Aussagen von Fachleuten wird der Tiefbahnhof die für eine angestrebte Verdoppelung des Schienenverkehrs bis 2030 nötige Kapazität nicht erbringen können. Dann aber wird auch nach einer etwaigen Inbetriebnahme ein Bedürfnis für den Weiterbetrieb des Kopfbahnhofs zu bejahen sein und eine Freistellung kann weiterhin nicht erfolgen. 

Plan B entwickeln und Kopfbahnhof ertüchtigen

Nicht zu vergessen ist auch der durch rechtskräftige Planfeststellung gesicherte Anschluss der Gäubahn an den Hauptbahnhof. Deren künftige Führung durch den längsten Eisenbahntunnel Deutschlands (Pfaffensteigtunnel) über den Flughafen zum Tiefbahnhof lässt sich auf viele Jahre nicht verwirklichen. Deswegen wird ohnehin die Zufahrt über die Panoramastrecke zum Kopfbahnhof erhalten bleiben müssen. Dieses Ziel verfolgt die Deutsche Umwelthilfe e.V. mit ihrer Klage gegen das Eisenbahn-Bundesamt. 

Grund genug für die Verantwortlichen, endlich einen Plan B zu entwickeln und die Chance zu nutzen, mit weit geringeren Kosten den Kopfbahnhof mit seinen Anlagen einschließlich des funktionierenden Abstellbahnhofs zu ertüchtigen. Damit kann angesichts des sich beschleunigenden Klimawandels ein gewichtiger Beitrag gegen die Verschlechterung des Stadtklimas und für den Artenschutz geleistet werden und die lebensnotwendige Frischluftschneise erhalten bleiben. Und endlich kann man sich ohne weiteres Zögern um bezahlbaren Wohnraum kümmern. 

Dieter Reicherter
Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 

Bilder: SÖS


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