
Das Thema Klimagerechtigkeit droht zunehmend von der politischen Tagesordnung zu verschwinden. Das betrifft auch die Realisierung des Gemeinderats-Beschlusses von 2022 „Stuttgart 2035 klimaneutral“ und des zugehörigen Klimafahrplans. Eine Zwischenbilanz ergibt schon jetzt: Es ist zu wenig passiert und es geht zu langsam voran. Was man tun müsste und könnte schreibt uns SÖS-Bezirksbeirat Ralf Schelle, der an der Uni Stuttgart am IER (Institut für Energiewirtschaft und rationelle Energieanwendung) arbeitet.
Klimaschutz ist wichtig, weil es eben auch Menschenschutz ist. Wenn wir das Thema Klimaschutz vernachlässigen, verlieren irgendwo auf der Erde Menschen ihre Lebensgrundlagen. Schon alleine deswegen sollten wir nicht nachlassen, dieses Thema mit Vehemenz zu bearbeiten.
Nachdem der Stuttgarter Gemeinderat sinnigerweise beschlossen hat, Stuttgart möge bis zum Jahr 2035 zur klimaneutralen Landeshauptstadt werden, gilt es, in den 3 Sektoren Strom, Verkehrswende und Wärme große Veränderungen herbeizuführen. Im Bereich Strom klappt dies ganz gut (obgleich die Stadt Stuttgart hierzu keinen wesentlichen Beitrag lieferte).

Auch im Bereich „PV auf Dächern“ trägt Stuttgart im Baden-Württemberg-Vergleich die rote Laterne
Dagegen sind im Bereich Verkehr nahezu keine Verbesserungen messbar. Das gleiche gilt leider auch für den Bereich Wärme.
Drei Gründe – warum es hakt
Woran hakt es denn bei der Wärmewende? Nachfolgend werden drei (von vielen) Gründen erläutert:
1) Das Amt für Umweltschutz (AfU) ist für die Wärmewende in Stuttgart verantwortlich. Deren gut ausgebildete MitarbeiterInnen wären fachlich geeignet. Tatsächlich lässt deren Arbeit aber sehr zu wünschen übrig; nachfolgende Darstellung zeigt den Verlauf der Treibhausgase in Stuttgart.

Gemäß Gemeinderatsbeschluss sollte Stuttgart bis 2035 klimaneutral sein. Wenn wir weiterhin in diesem Tempo arbeiten, wird dies wohl erst im Jahr 2060 (nach Daten AfU), eher aber im Jahr 2100 (nach Daten Fraunhofer) realisiert sein.
2) Die Wohnungseigentümer, die laut AfU das Gros der Heizungsumstellungen selbst tragen sollen, sind sowohl ablauftechnisch als auch finanziell gefordert oder überfordert. Dazu kommt, dass mit der neuen Bundesregierung derzeit geltende Heizungsverordnungen wackeln – und mit ihnen die Fördertöpfe. Zudem können oft vorgeschlagene Wärmepumpen aus technischen oder zulassungsrechtlichen Gründen nicht in allen Gebäuden installiert werden. Wenn dann weder ein Nah- noch ein Fernwärmenetz in der Nähe ist, werden ökologische Heizungslösungen ziemlich kompliziert.
3) Der Gemeinderat delegiert die Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen. In der Annahme, jene Aufgaben werden verlässlich erledigt, kontrolliert er nicht ernsthaft, ob denn tatsächlich rechtzeitig die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden.
Insgesamt ist die Situation verfahren. Es scheint, als habe man vor Lösungen mehr Angst als vor dem Problem. Wie dem auch sei: Jetzt in Stuttgart kleine Stellhebelchen umzulegen, reicht nicht mehr aus. Vielmehr sind nun gewaltige Paukenschläge nötig. Einer der Wichtigsten:
Das Amt für Umweltschutz war und ist nicht in der Lage, die Wärmewende bis zum Zieljahr umzusetzen. Der Auftrag sollte daher an bewährte Unternehmen vergeben werden.
Doch auch mit solcherlei Paukenschlägen gilt: Da viel zu lange viel zu wenig gehandelt wurde, wird das Ziel, 2035 zur klimaneutralen Landeshauptstadt zu werden, wohl nicht mehr zu erreichen sein. Schade.
BürgerInnen in Botnang machen es der Stadt vor!
Doch den Klimaschutz/die Wärmewende aufzugeben gilt nicht (dazu sind wir zu sehr SÖS).
Allein schon deswegen nicht, weil wir ja wissen, wie es funktionieren kann: Verschiedenste in Deutschland realisierte Projekte, beispielsweise in Crailsheim oder in Neckarsulm, zeigen, dass ganze Quartiere mit überwiegend oder gar vollständig ökologisch erzeugter Wärme versorgt werden können – und dies zu moderaten Energiekosten.
Und, ja, auch in Stuttgart gibt es vereinzelt vielversprechende Projekte. In Botnang beispielsweise wurde unlängst eine Energiegenossenschaft ohne Renditeabsichten gegründet.

BürgerInnen wollen dort vor Ort ein vollständig ökologisches Nahwärmenetz stemmen. Berechnungen, Untersuchungen und Finanzierungsvarianten ergaben, dass es richtig gut aussieht für alle Beteiligten. Mal sehen, ob die tapferen BürgerInnen seitens des Stuttgarter Amtes für Umweltschutz unterstützt oder einmal mehr torpediert werden.
Text und Grafiken: Ralph Schelle, SÖS
Logo: Energetische Quartiersgenossenschaft Botnang
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