Die Armut in Stuttgart wächst. Unsere Stadträtin Guntrun Müller-Enßlin (SÖS) besuchte die Tafel, um aus erster Hand zu erfahren, wie deren Arbeit unterstützt werden kann. Hier ihr Bericht.
Die Schlange in der Hauptstätter Straße ist 50 Meter lang und reicht bis weit um die Ecke in die Weißenburgstraße hügelaufwärts. Es gilt eine Buchstabenregelung: Im Wechsel sind am einen Tag Kunden mit Nachnamen von A bis K dran, am anderen solche mit Nachnamen von M bis Z. Manche stellen sich bereits morgens um 8 Uhr an und nehmen eine Wartezeit von zwei Stunden in Kauf, bis der Tafelladen um 10 Uhr seine Pforten öffnet. Dann werden die Käuferinnen und Käufer eingelassen, immer 50 an der Zahl. Das Angebot reicht von Gemüse über frisches Brot und Milchprodukte bis zu Wurst und Fleisch. Alkohol wird nicht verkauft. Die Käuferinnen und Käufer können im Warenangebot frei wählen und zahlen entsprechend der angezeigten Beträge, z.B. eine Paprika 15 Cent. Die Preise sind vorgegeben vom Bundesverband der Tafel.
Vor Einlass der nächsten Käufergruppe werden in einer 15-minütigen Pause die Regale aufgefüllt. Zwischen 30 und 40 Mitarbeiter*innen kümmern sich um das Anliefern, Ausladen und Sortieren der angelieferten Ware. Nur Verkaufsartikel innerhalb des Verfallsdatums gelangen in den Verkauf. Das übrige wird verschenkt.
450 KundInnen am Tag – es werden immer mehr
Die Schwäbische Tafel mit ihren vier Stuttgarter Standorten in Mitte, Möhringen, Cannstatt und Fellbach finanziert sich bislang ausschließlich über Geld- und Lebensmittelspenden, sowie über Arbeitsplatzpatenschaften. Dieses Konzept kommt derzeit an seine Grenzen, teilt der erste Vorstandsvorsitzende Hans-Ulrich Rabeneick mit. Denn in den letzten Jahren und insbesondere seit Beginn des Krieges in der Ukraine gibt es bei der Käuferschaft Zuwächse um 50 Prozent. Momentan kaufen in der Hauptstätter Straße durchschnittlich 450 Kund*innen täglich ein, mehr als ein Drittel von ihnen sind Ukrainer. Überdies sind die rechtlichen Anforderungen, die Aufwendungen zur Beschaffung, aber auch der Standard eines Lebensmittelbetriebes in den letzten Jahren deutlich gestiegen und erfordern die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel. Was entsprechende Unterstützung angeht, so ist man bereits auf die Stadt zugegangen, die auch Vermieterin der Räumlichkeiten der Hauptfiliale ist. Die Stadt hat das Gebäude in der Hauptstätter Straße vor etwa vier Jahren der Caritas abgekauft und möchte dort Büros einrichten. Seither hängt die Zukunft der Filiale in der Luft. Für sie sucht man ein neues Domizil, es gibt Optionen, in trockenen Tüchern ist aber noch nichts.
„Wir wünschen uns bezahlbare Räumlichkeiten in zentraler Lage“, betont Rabeneick,“und vor allem mittelfristige Planungssicherheit.“
Man möchte für die Tafel hoffen, dass die Stadt alles tut, damit sich diese Wünsche erfüllen, denn der Mehrwert dieser wunderbaren Einrichtung reicht weit über das Generieren von Essen für von Armut betroffene Menschen hinaus. Die Tafel rettet einwandfreie Lebensmittel, die ansonsten im Müll landen würden und sorgt damit für eine gerechtere Verteilung. Sie bietet ihren Käufern auch soziale Kontakte und persönliche Hilfen an. Vor Corona gab es im Verkaufsraum Stehtische, an denen die Kund*innen miteinander ins Gespräch kommen konnten. Auch für die Menschen, die bei der Tafel arbeiten, Ehrenamtliche, Berufstätige, Arbeitslose, die Rente beziehen oder eine (Hoch-)Schule besuchen, ist die Tafel ein sozialer Ort, bei dem sie Gemeinschaft und sinnstiftende Tätigkeit erleben. Das umfangreiche Mitarbeiter-Team versteht sich als Familie. Diese ist bunt und multikulturell und umfasst Menschen verschiedenster Herkunft, die die unterschiedlichsten Sprachen sprechen. „Dolmetscher benötigen wir hier nicht“, meint Herr Bazdar, stellvertretender Lagerleiter der Filiale in der Hauptstätter Straße, augenzwinkernd“, die haben wir in unseren eigene Reihen.“
Bilder: Guntrun Müller-Enßlin