Interview mit SÖS-Bezirksbeirat Ralph Schelle
Die Hitzetage der letzten Wochen sind ein Alarmsignal. Der Klimawandel erfordert sofortige Maßnahmen. Doch warum tut sich in Stuttgart fast nichts? Und was könnte sofort unternommen werden? Darüber sprachen wir mit SÖS-Bezirksbeirat Ralph Schelle.
SÖS: Ralph, beruflich hattest du Energiekonzepte für Kommunen und Großfirmen erstellt. Was wäre denn in Stuttgart notwendig?
Ralph Schelle: Aufwachen wäre notwendig. Wir haben hier über einen sehr langen Zeitraum sehr wichtige Dinge verschlafen.
SÖS: Was meinst du genau?
Ralph Schelle: Planung und Bau von regenerativen Kraftwerken und Wärmenetzen, einer der Pfeiler der vom Gemeinderat beschlossenen Klimaneutralität, brauchen Zeit. Stuttgart hätte schon vor Jahrzehnten damit beginnen müssen.
SÖS: Was sind denn aktuell die Gründe für Verzögerungen?
Ralph Schelle: Die vorhandenen Verwaltungsstrukturen funktionieren nicht. Der Gemeinderat fasste gerade in letzter Zeit bezüglich Klimaschutz inhaltlich sinnige Beschlüsse, doch die Verwaltung, beispielsweise das Amt für Umweltschutz, verweigert die Umsetzung dieser demokratisch erwirkten Entscheidungen.
Energie aus Photovoltaik oder Solarthermie
SÖS: Was müssten wir denn aus deiner Sicht in Stuttgart konkret anleiern?
Ralph Schelle: Alle nicht denkmalgeschützten Gebäude mit einem Heizwärmebedarf über 70 kWh/qm/a müssen wärmegedämmt werden. Die Nutzung von Kohle, Gas und Öl muss stufenweise reduziert bzw. eingestellt werden. Nahezu sämtliche Gebäude, auch und gerade die der privaten Investoren sowie die gewerblich genutzten, müssen künftig mittels Photovoltaik oder Solarthermie Energie produzieren. Wir brauchen den Ausbau bestehender Fernwärmenetze und Nahwärmenetze.
Wir müssen innerorts regenerative Kraftwerke platzieren sowie optisch ansprechende Wärmespeicher, welche in der Heizperiode die im Sommer gesammelte Wärme zur Verfügung stellen. All diese Maßnahmen sind bekannt, bewährt und bezahlbar, da bedarf es nur eines Blickes nach Dänemark. Wichtig ist auch, nicht alleine den Technikern und Planern das Feld zu überlassen, sondern immer auch eine soziale Verträglichkeit sicherzustellen.
SÖS: Kann das Versagen der bisherigen Oberbürgermeister, die Verwaltung auf Trab zu bringen, überhaupt noch bis 2035 korrigiert werden. Ist der Berg an Maßnahmen inzwischen nicht zu groß für diese kurze Zeit?
Ralph Schelle: Wenn wir es wirklich wollen, ist es zu stemmen. An der Finanzierung kann es nicht liegen, Stuttgart ist eine reiche Stadt. Die Einsicht, dass die Entwicklungen des Klimas, auch des Stadtklimas, dramatisch sind, ist weitgehend vorhanden. Nun, da die Zeit der Ausreden abgelaufen ist, müssen umfangreiche Taten folgen. Oberbürgermeister Nopper möge nun entsprechend Position beziehen. Anderenfalls könnte es für alle Beteiligten unschön enden.
EnBW: Keine Investitionen ohne Rendite
SÖS: Bei diesen Vorhaben könnte ja sicher die EnBW, welche ja zu einem bedeutenden Teil Im Besitz der grünen Landesregierung ist, aktiv werden?
Ralph Schelle: Sie könnte. Doch die EnBW wird gemäß eigener Satzung niemals Investitionen ohne hohe Renditeprognosen tätigen. Sie wird daher weiterhin schmutzige Kohle, Öl und Gas verfeuern – solange die Politik es ihr ermöglicht.
SÖS: Im Stuttgarter Gemeinderat stellen die Grünen die meisten Gemeinderäte. Insofern müssten doch in Stuttgart die Weichen auf Klimaschutz gestellt sein?
Ralph Schelle: Was Klimaschutz anbelangt, sehe ich 3 Gruppierungen: Die erste Gruppierung hat die Problematik des Klimawandels und der Rohstoffausbeutung verstanden und fordert, dass unverzüglich Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Die zweite Gruppierung verharmlost die bestehende Problematik und würde gerne an umweltbelastenden Systemen festhalten, auch um ihren persönlichen Luxus beizubehalten. Die Existenz dieser Gruppe müssen wir zur Kenntnis nehmen.
Darüber hinaus, um endlich auf die Beantwortung deiner Frage nach den Grünen im Gemeinderat zu kommen, gibt es noch eine dritte Gruppierung, die nach meiner Ansicht die mit Abstand problematischste ist: Menschen, welche die Klimawandelproblematik verstanden haben und vollmundig verkünden, man habe ausreichend Gegenmaßnahmen getroffen – im vollen Wissen, dass diese nicht oder nicht ausreichend wirksam sind.
SÖS will Boden, Luft und Wasser schützen
SÖS: Beim Thema Klimaschutz prescht SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch im Gemeinderat immer wieder mal mit außergewöhnlichen Forderungen vor und wird daher von einigen Gemeinderatskolleg*innen als radikal empfunden. Siehst du das auch so?
Ralph Schelle: Hannes Rockenbauch pocht mit seinen Einbringungen auf die weitgehende Unversehrtheit von Boden, Luft und Wasser. Ich kann in einer solchen Forderung keine Radikalität erkennen.
SÖS: Lieber Ralph,herzlichen Dank für das Interview.
Das Interview führte Peter Hensinger (SÖS-Newsletter-Redaktion)
Fotos: Ralph Schelle privat / Peter Hensinger