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Eine Skulptur für Betty Rosenfeld

24. Oktober 2023

Ein Interview mit dem Bildhauer Joachim Sauter

Die Krankenschwester Betty Rosenfeld (1907-1942) wurde in eine bürgerliche jüdische Familie in Stuttgart-West hineingeboren. 1935 wanderte sie vor der drohenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten nach Palästina aus. Ab 1937 nahm sie als Freiwillige im Sanitätsdienst der Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg teil. 1942 wurde sie in Auschwitz ermordet. Ein zentraler Ort im Stuttgarter Westen soll an sie erinnern: Der Bismarck-Platz soll in Zukunft Betty-Rosenfeld-Platz heißen. Für dieses Anliegen wurden auch von SÖS-Aktiven über 1000 Unterschriften gesammelt. Am Samstag, dem 21. Oktober wurde auf dem Bismarckplatz ein Modell für eine Skulptur von Betty Rosenfeld enthüllt. Entworfen hat die Skulptur der Stuttgarter Bildhauer und Grafiker Joachim Sauter:

Künstler Joachim Sauter bei der Präsentation auf dem Platz

SÖS: Joachim, du hast ein Modell für eine Skulptur von Betty Rosenfeld entworfen. Was hat dich dazu bewogen?

Joachim Sauter: Von Betty Rosenfeld habe ich über die Biografie von Michael Uhl erfahren. Da ist zum einen die fesselnde und gleichzeitig tragische Lebensgeschichte von der Michael Uhl erzählt, aber es kommen auch am Rande Leute vor, die ich noch persönlich gekannt habe, Rudolf Sperandio, Julius Schätzle, der Stadtrat Eugen Eberle, der Maler Manfred Henninger, Erwin Holzwarth und Gretel Weber. Die waren mit Betty Rosenfeld bekannt oder sind ihr zumindest begegnet. Obwohl das ja schon in den Zwanzigerjahren im letzten Jahrhundert war und ich erst sehr viel später aktiv wurde, hatten wir einige gemeinsame Bekannte. Das verbindet. Da habe ich dann angefangen, mir Gedanken zu machen.

SÖS: Welche Gedanken sind dir beim Entwerfen durch den Kopf gegangen?

Joachim Sauter: Der Brecht hat ja durch sein ganzes Exil Buchstaben aus Karton mit sich geschleppt und in seinen Arbeitszimmern aufgehängt. Die bildeten den Satz: Die Wahrheit ist konkret. Sowas ähnliches existiert in meinem Kopf auch. Ich brauche einen konkreten Eindruck von etwas, von dem ich ausgehe, auch wenn es sich dann ganz eigenständig entwickelt. Hier war es ein Foto von Betty Rosenfeld, wo sie mit Kameradinnen in Murcia auf einer Treppe am Spital sitzt. Nur ist bei mir die Treppe zu einer ausweglosen Situation geworden. Die Figur selber soll dagegen ganz hoffnungsvoll werden, was Betty Rosenfeld wohl auch war.

SÖS: Wieso sieht die Skulptur so aus, wie sie ist?

Joachim Sauter: Irgendjemand bemerkte, die Figur im Modell hätte einen etwas zu großen Kopf. Das ist gut beobachtet. Es soll ja keine Figur aus dem Wachsfigurenkabinett werden, sondern einen Eindruck von Betty Rosenfelds Persönlichkeit vermitteln, soweit man das überhaupt nachvollziehen kann. Es ist meine Sicht, meine Handschrift, in der ich das formuliere. Also eine gewisse Abstraktion hält den Betrachter emotional auf Distanz und bietet so die Möglichkeit über die Sache nachzudenken.

SÖS: Was fasziniert dich an Betty Rosenfeld?

Joachim Sauter: Zum einen sind da meine eigenen biografischen Anbindungen an ein politisches Umfeld in dem auch die Betty Rosenfeld sich bewegt hat und die ganzen lokalen Bezüge, die mein Interesse an ihrem Leben geweckt haben. Andererseits hat sie viel ausprobiert, wo sie es konnte, hat sie ihr eigenes Leben gelebt, was damals für eine Frau nicht selbstverständlich gewesen ist, sie hat sich ein Ideal von einer gerechteren Welt bewahrt und hat sich mutig dem Faschismus entgegengestellt. Es braucht keine Heldenverehrung, aber als Beispiel in unserer Zeit ist das schon ganz schön viel. Wenn ich es richtig aus ihrer Biografie herauslese, war sie ein unangepasster Mensch.

SÖS: Viele sagen, lasst mich mit der Vergangenheit in Ruhe. Warum ist Erinnern für dich wichtig?

Joachim Sauter: Das Verrückte ist doch, dass das Vergangene eine ziemlich lebendige Sache ist. Im Positiven wie im Negativen. Wir sitzen, bildhaft gesprochen, auf den Schultern derer, die vor uns waren und sehen vielleicht etwas weiter, wenn wir aus ihren Erfahrungen lernen. Betty Rosenfeld ist jemand, an dem ich mich orientieren kann. In der bildenden Kunst ist das ähnlich, da ist man als Künstler ganz automatisch mit Künstlerkollegen aus verschiedenen Jahrhunderten verbunden, die einem was sagen und auf die man hört. Nur so kommt man zu sich selbst.

SÖS: Es gibt ja schon ein Buch von Michael Uhl über Betty Rosenfeld – erschienen im Stuttgarter Schmetterling Verlag und Bemühungen, eine Straße oder einen Platz nach ihrem Namen zu benennen. Warum dazu noch eine Skulptur?

Joachim Sauter: Auch ohne die Initiative für einen Betty-Rosenfeld-Platz hätte mich das interessiert. Ich finde allerdings, dass bei der Umbenennung eines Platzes weiter gedacht werden muss und man das als eine Gestaltungsaufgabe im Stadtraum auffassen sollte. Platz- und Strassennamen sind was für Postboten und Taxifahrer. Zur Lebensqualität eines Platzes gehört auch eine geistige Komponente, etwas, worüber man nachdenken kann. Meine Skulptur ist ein Beitrag dazu.

SÖS: Du bist Bildhauer und Grafiker. Wie bist du dazu gekommen? Was bedeutet Kunst für dich?

Joachim Sauter: Ich denke, es war mir schon immer ein Bedürfnis, mich bildnerisch auszudrücken. Mit meiner Kunst versuche ich, mich im Leben zu behaupten. Deshalb kommt meine Beschäftigung mit der menschlichen Form nicht nur allein aus einer Begeisterung für das Körperliche an sich, sondern ist auch eine Erforschung der condition humaine. Die Ideen schöpfe ich aus dem alltäglichen Leben genauso wie aus Geschichte und Politik. Das beschreibt im Wesentlichen die Gründe, warum ich mich mit der Herstellung von Figuren beschäftige. Mich lediglich an Formen des Menschen zu berauschen ist mir zu wenig, ich kann mir den Menschen ohne die Zwänge in denen er lebt nicht denken. Mich interessiert die Widerständigkeit, sich der Zwänge zu erwehren und die Freiheit, sich darüber hinwegzusetzen.

Das Interview für die SÖS-Redaktion führte Paul Russmann

Fotos: SÖS, Joachim Sauter


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