Digitaler Knoten Stuttgart: Von defekten Toiletten und fehlenden Blaupausen
Schildbürgerstreich ETCS: Die Digitalisierung durch ETCS, so versprach die Bahn, sollte den Engpass S 21 ausgleichen durch eine intelligente Steuerung der Züge. Doch nun ist das Geld ausgegangen. ETCS wird zur Insellösung, außerhalb der S21-Tunnelspinne kann es nicht eingebaut werden. Damit wird es funktionslos. Und eine zweite Folge: Die oberirdischen Gleise müssen jetzt bleiben, um den unterirdischen Engpass auszugleichen. Rosensteinviertel ade! Und dann bekam die Bahn jetzt noch eins drauf: Das Gericht hat endgültig beschlossen, dass sich Land und Stadt nicht an den explodierenden Mehrkosten beteiligen müssen. Die Bahn ist klamm! Das ganze Ausmaß dieses Schildbürgerstreiches erläutert uns Dieter Reicherter vom Aktionsbündnis.
Nicht nur mit ständigen Verspätungen und Zugausfällen, sondern auch mit ihren Toiletten hat die Bahn ein Problem. Dazu Mario Reiß, neuer GDL-Chef, am 8.9.2024 in der FAZ: „So berichten es unsere Praktiker jeden Tag aus den Werkstätten, aus dem Service. Sie sehen, dass ein Zug genauso aus der Werkstatt kommt, wie er hingefahren ist: mit defekten Toiletten, mit nicht funktionierendem Bordbistro. Es fehlt an allem, das ist ein organisatorisches Problem.“
Wie gut, dass die Bahn zumindest bei Stuttgart 21 ein Wundermittel entdeckt und das Heil in die Hände der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH gelegt hat. Diese hatte sich durch Kostenexplosionen und Verschiebungen der Inbetriebnahme nachhaltig empfohlen. Zwar soll die Anzahl der Bahnreisenden bis 2030 verdoppelt und zudem der Deutschlandtakt eingeführt werden. Dafür wären in Stuttgart mindestens 14 Gleise statt der acht des Tiefbahnhofs erforderlich. Aber der Digitale Knoten Stuttgart (DKS) wird es richten. Vielleicht. Wären da nicht die massiven Finanzprobleme von Bahn und Bund und die technischen Schwierigkeiten.
ETCS Kabel werden verlegt. Hauptsache bauen – das bringt Profite!
Kein Geld, aber große Pläne
Die hoch verschuldete Deutsche Bahn AG plant die großflächige Einführung des europäischen Zugbeeinflussungssystems ETCS (European Train Control System) mit geschätzten Kosten von über 60 Milliarden Euro. Nach den Erfahrungen in der Schweiz führt ETCS zu mehr Sicherheit, bedeutet aber Leistungseinbußen von ca. 10 %. Bekanntlich ist die Infrastruktur des Bahnnetzes marode und der Bund kürzt als Alleineigentümer die Zuschüsse an die Bahn. Dies führt zu einer Diskussion, ob statt des Ausbaus der Digitalisierung vorrangig die kaputte Infrastruktur saniert werden soll. Nach aktuellen Recherchen des SWR wird deshalb die Digitalisierung, soweit nicht bereits vertragliche Verpflichtungen bestehen, auf die lange Bank geschoben werden.
Was bedeutet dies konkret für das einzigartige Experiment bei Stuttgart 21? Die Bahn selbst erklärt, dafür gebe es keine Blaupause. Im neuen Netz mit fast 60 km Tunnelröhren und dem Tiefbahnhof setzt man ausschließlich auf das digitale System ETCS. Analoge Signale und Steuerungseinrichtungen gibt es nicht mehr. Alle Befehle werden digital in das Triebfahrzeug übermittelt. Fällt ETCS aus, gibt es keine Rückfallebene. Der Bahnverkehr kommt zum Erliegen.
Doch nicht genug damit. 2020 wurde der Digitale Bahnknoten Stuttgart (DKS) beschlossen. ETCS soll als Stufe 3 die gesamten Netzbezirke Stuttgart und Plochingen umfassen, insbesondere alle Strecken der S-Bahn. Für die Stufe 1 (S-Bahn-Kernbereich) und Stufe 2 (ganze S21-Infrastruktur) waren zunächst 462,5 Millionen Euro veranschlagt. Doch der Anteil des Bundes musste nachträglich um rund 100 Millionen Mehrkosten aufgestockt werden. Die geschätzten Kosten für den Baustein 3 summierten sich bereits vor zwei Jahren auf zusätzliche 1,15 Milliarden.
Aufgesetzt auf ETCS wurden beim DKS noch digitale Stellwerke statt der bisher üblichen und bewährten elektronischen Stellwerke. Davon verspricht man sich eine bessere Vernetzung aller digitaler Komponenten. Allerdings ist dies äußerst aufwändig und die Fachleute sind rar. Die mit der Umsetzung des DKS beauftragte Firma Thales wurde von der japanischen Firma Hitachi übernommen, was zu Verzögerungen führt. Bahnbetreiber beklagen, dass es keine verbindlichen Normen für die Ausrüstung der Loks gibt. Jeder Zughersteller entwickelt sein eigenes System. Für die Abnahme durch die Prüfbehörden gibt es keine verbindlichen Vorgaben. Die Auslieferung von bestellten Zügen kann sich durch die notwendige Ausstattung mit ETCS weiter verzögern.
Innerhalb des Digitalen Bahnknotens können nur mit ETCS ausgerüstete Züge verkehren. Die Kosten dafür betragen pro Triebfahrzeug (also S-Bahnen, Regionalbahnen, Fernverkehrszüge) zwischen 500.000 und 5,000.000 Euro. Weil das für die einzelnen Bahnbetreiber nicht finanzierbar wäre, werden 50 bis 90 % aus Steuermitteln erstattet.
Wie viele Jahrzehnte soll das noch gehen? Zugausfälle oder überfüllte Züge! Die Bundes-Verkehrsminister der letzten Jahrzehnte stellten CDU/CSU!
Nicht kleckern, sondern klotzen
Mit dem DKS werden kolossale Leistungssteigerungen versprochen. Allerdings gibt es damit noch kaum Erfahrungen. Dazu steht die Einführung der Stufe 3 auf der Kippe, also die Ausdehnung der Digitalisierung auf die ganze Region. Trotz ungesicherter Finanzierung erfolgte soeben die europaweite Ausschreibung wie folgt: „Das Projekt zeigt die Möglichkeiten und Grenzen der „digitalen“ Leistungsoptimierung sowie die Auswirkungen einer eng aufeinander abgestimmten Fahrzeug- und Infrastrukturausrüstung auf.“
Eine weitere Verschiebung der Inbetriebnahme scheint da geradezu vorprogrammiert. Ohnehin ist fraglich, ob das hochkomplizierte digitale System überhaupt zum Laufen gebracht werden kann. Zumindest werden Pannen mit der störanfälligen Technik nicht ausbleiben. Man denke nur an den Funkausfall im Raum Frankfurt vor kurzem, als nichts mehr ging.
Nur etwas ist gewiss: Die aktuellen Planungen bedeuten auch künftig jede Menge Streckensperrungen mit Schienenersatzverkehr und ausgedünnte Fahrpläne.
Dieter Reicherter
Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21
Bilder: Ulli Fetzer