„D´r Käs isch gässa!“, hoffte MP Kretschmann. Doch nun rumort er ihm schwer im Magen. Die Blähungen hören nicht auf. Es gebe kein Zurück mehr, auch wenn es ein Murks ist, suggeriert man uns. Der Umstieg 21 sei eine schöne Nostalgie der S 21 – Gegner. Nein, sagt das Aktionsbündnis S 21, es gibt Alternativen. Welche, das schildert uns Dieter Reicherter vom Aktionsbündnis.
Nein, heute ist nicht der 1. April. Auch wenn im Radio gemeldet wird, auf dem Deutschlandtag der Jungen Union sei beschlossen worden, alle Autobahnen mit Langsamfahrstellen müssten so ausgebaut werden, dass man statt mit 130 km/h mit 200 km/h von Hamburg nach München fahren könne. Was nur bedeuten kann, dass Stuttgart 21 dann auch aus christdemokratischer Sicht nicht mehr benötigt wird.
Aber mein Auftrag ist, über Alternativen zum Projekt zu schreiben. Ernsthaft. Gibt es die noch? Ist ein Umstieg inzwischen nicht bloßes Wunschdenken der S21-Gegner? „Dr´ Käs isch gässa!“, meinte schon vor Jahren Ministerpräsident Kretschmann. Dumm nur, dass der Käse jetzt im Magen rumort und gewaltig stinkt. Um im Bild zu bleiben: Irgendwie müsste der Käse dringend wieder raus.
Katastrophale Bilanz
Dabei wird nach wie vor eine märchenhafte Zukunft versprochen. Doch in Wahrheit ist die Bilanz katastrophal:
Der wahre Grund für Stuttgart 21 ist der Bau eines neuen Stadtteils. Bekanntlich soll, falls der Tiefbahnhof jemals funktioniert und der Kopfbahnhof nicht mehr benötigt wird (was alle Fachleute ausschließen), auf dem oben freiwerdenden Gelände das Rosensteinviertel entstehen. Nein, Fertigstellung nicht nach der geplanten S21-Inbetriebnahme Ende 2026 und auch nicht Ende 2036, aber vielleicht im Jahr 2046? Dumm nur, dass die versprochenen Wohnungen jetzt benötigt werden und plötzlich auch der Gesetzgeber nicht mehr mitspielt. Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrats (wie hat eigentlich Baden-Württemberg abgestimmt?) beschlossen, dass bisher von der Bahn genutzte Grundstücke nicht für andere Zwecke freigestellt werden dürfen. Es sei denn, das geschähe für Zwecke, die mindestens ebenso überragend sind wie der Bahnbetrieb. Also für militärische Zwecke (zum Beispiel Stationierung von Atomraketen), Bau von Autobahnen (wie Recht hat doch die Junge Union) sowie zur Erzeugung regenerativer Energien.
Natürlich arbeiten die Politiker, denen ein guter Bahnbetrieb egal ist, schon wieder an einer Änderung dieses Gesetzes, um doch noch bauen zu können. Aber das Rosensteinviertel bleibt dennoch eine Fata Morgana. Die Stadt kann die immensen Erschließungskosten nicht stemmen und erst recht nicht die Mieten soweit herunter subventionieren, dass sie für Normalverdiener erschwinglich sind oder gar Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt werden können. Doch auch aus ökologischen Gründen verbietet sich eine Bebauung.
Der Stuttgarter Bahnhof und der Schlossgarten, Kleinode von Stuttgart wurden dem Profit geopfert.
Die Verantwortlichen wollen nichts mehr davon wissen.
(Visualisierung Umstieg 21 von Klaus Gebhard, Symbolbild von Edgar Bayer)
Mit voller Fahrt gegen die Wand
Riesige Probleme macht auch die Digitalisierung, der angebliche Ausweg aus dem Engpass 21. Sie erhöht die Kapazitäten nicht und ihre Einführung führt zu nicht mehr beherrschbaren Verzögerungen.
Doch auch die Kostenexplosion geht weiter, nicht nur infolge der stark gestiegenen Baupreise und der astronomischen Summen für die Digitalisierung, sondern auch wegen der angeblich zur Verbesserung des Projekts notwendigen Zusatzprojekte auf den Zulaufstrecken (sogenanntes Zweites Stuttgart 21). Wer soll das bezahlen? Nach dem Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts kann die hoch verschuldete Bahn nicht darauf hoffen, die Projektpartner an der Finanzierung der jetzt schon bei 7 Milliarden liegenden Mehrkosten zu beteiligen.
Mit jedem weiteren Schritt versinkt das System 21 noch weiter im Sumpf. Die für notwendig erklärten zusätzlichen Arbeiten werden Jahrzehnte dauern und den Schienenverkehr in der Region noch mehr beeinträchtigen als jetzt schon. Egal, wer zahlen muss, die Mittel sind überall klamm. Derzeit drohen schon wieder zusätzliche Milliardenkosten für den Pfaffensteigtunnel, den niemand braucht und der die Folge einer verkorksten S21-Planung auf den Fildern ist. Was wäre, wenn die Verantwortlichen endlich den Mut hätten, dem Wahnsinn ein Ende zu setzen?
Unterirdische Güterverkehrssysteme zur Entlastung der Innenstätte sind längst entwickelt. Das von der Hochschule Coburg geprüfte Konzept Umstieg 21 Plus sieht eine vollautomatisierte Güterlogistik in den Tunnelröhren vor.
Stuttgart hat die Röhren, Andere müssen erst noch bohren
Die sparsame schwäbische Hausfrau sorgt sich darum, was mit dem vielen Geld geschieht, das in fast 60 km unterirdischen Tunnelröhren verbuddelt wurde. Doch sie hat von der betriebswirtschaftlichen Erkenntnis gehört, dass man gutes Geld nicht dem schlechten hinterher werfen soll („sunk cost“). Außerdem kennt sie das vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 entwickelte Umstiegskonzept. Weltstädte planen noch, wie sie den belastenden Güterverkehr unter die Erde bringen können. Ausgerechnet Stuttgart als Herz Europas ist ihnen um Längen voraus. Denn die gebauten Tunnel müssen nicht zugeschüttet werden, sondern können für vollautomatisierten Gütertransport von den Randbezirken ins Stadtzentrum genutzt werden. Ein entscheidender Beitrag, um den oberirdischen Lieferverkehr zu reduzieren und CO2 einzusparen.
Warum also nicht einfach der Kopfbahnhof erhalten? Seine Gleisflächen liefern einen entscheidenden Beitrag zum nächtlichen Luftaustausch im Talkessel. Selbstverständlich braucht es eine Modernisierung des Bahnhofs und seiner Zulaufstrecken, was immer noch billiger wäre als die überbordenden Kosten bei S 21. Ganz zu schweigen davon, dass die für die nächsten Jahre angekündigten Streckensperrungen entfallen könnten, die noch viel einschneidender sein werden als diejenigen der letzten Jahre.
Weil die schwäbische Hausfrau nicht nur vom Umstieg träumt, sondern sich informieren will, bildet sie sich unter https://www.umstieg21.de/index.html fort. Selbstverständlich ist ihr klar, dass manche Details des Konzepts an die schon eingetretenen baulichen Veränderungen angepasst werden müssen. Deshalb will sich die schwäbische Hausfrau als Vertreterin der Stadtgesellschaft mit der Bahn und ihren Projektpartnern an einen Runden Tisch setzen, um über einen fairen Ausgleich und einen leistungsfähigen Bahnverkehr zu reden. Noch ist es dafür nicht zu spät.
Dieter Reicherter
Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21
Bilder: Privat, Klaus Gebhard, Hochschule Coburg