
Rosensteinviertel: Zum einstweiligen Scheitern einer Lex Stuttgart21
Der novellierte §23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) verbietet Entwidmungen von dringend benötigter Bahninfrastruktur. Kaum ausweichliche Konsequenz: Die Kopfbahnhofgleise bleiben, das Rosensteinviertel darf nicht gebaut werden. Dazu war im Dezember 2024 eine Bundestagsanhörung. Werner Sauerborn vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 war vom MdB Bernd Riexinger (Die Linke) als Sachverständiger geladen, Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) sprach für die CDU. Werner Sauerborn meint zum §23: Gut für den Bahnverkehr und die Umwelt, schlecht für das S21-Immobilienprojekt. Lesen Sie seinen Bericht.
Die „Konterreform“ ist erstmal gestoppt. Mehrere Anläufe, den §23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) noch in dieser Legislaturperiode wieder zu entkernen, sind gescheitert. Die seit Anfang 2024 geltende Gesetzesnovelle ist einerseits ein bemerkenswerter bahnpolitischer Paradigmenwechsel, weil sie Entwidmungen von dringend benötigter Bahninfrastruktur, um allerlei lokale Interessen zu bedienen, nur noch in sehr engen Grenzen ermöglicht. Insofern war das kein Überraschungscoup, sondern seit längerem erkennbar und auch von den großen Parteien getragen. Andererseits ist die logische Folge aus diesem Paradigmenwechsel, dass dann die Entwidmung der Stuttgarter Kopfbahnhofgleise, samt Abstellbahnhof und Gäubahnanschluss praktisch unmöglich ist – und damit die Bebauung dieser Flächen mit dem Rosensteinquartier zur Fata Morgana geworden ist. Nicht politisches Ränkespiel, sondern dieser Widerspruch dürfte es gewesen sein, der zum einstweiligen Scheitern der Konterreform geführt hat.

AEG §23: Das Gleisfeld, eine der wichtigsten Frischluftschneise Stuttgarts, bleibt bestehen!
OB Nopper (CDU) und Verkehrsminister Herrmann (Grüne) hyperventilieren im Duo
Mit der schlichten Aussage des Eisenbahnbundesamts (EBA), dass nach AEG §23 Wohnungsbau nicht zu den „überragenden öffentlichen Interessen“ gehöre, die eine Entwidmung rechtfertigt, dämmerte dem S21-Fanclub, dass das neue Gesetz das Ende ihres Immobilientraums bedeutet, der ja der eigentliche Grund für die Wegverlegung des Bahnhofs unter die Erde war.
Dann legten sie los. Angeführt von OB Nopper startete man eine beispiellose Lobbykampagne. Ziel war eine Lex Stuttgart21, eine Revision des Reformgesetzes, die die Realisierung ihres Immobilienprojekts ermöglichen sollte. Dafür ließ sich der Städtetag einspannen, der unter Berufung auf eine Städteumfrage behauptete, bundesweit seien jetzt 150 wichtige Infrastrukturprojekte nicht mehr realisierbar. Beharrlich weigert sich aber der Städtetag, die Umfrage publik zu machen. Sogar eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht fand schnell Zustimmung im Gemeinderat bei der aufgebrachten S21-Anhängerschaft – fragt man Fachjuristen, wie z.B. den Eisenbahnrechtsexperten Prof. Urs Kramer, ein ziemlich aussichtloses Unterfangen. Die vor Jahresende 2024 eingereichte Beschwerde hält die Stadtverwaltung unter Verschluss. Die Stuttgarter Tageszeitungen sorgten für den nötigen Resonanzboden mit der Botschaft: Ganz Stuttgart sei empört, dass jetzt das tolle, seit Jahren geplante Wohnungsprojekt hinterrücks gemeuchelt würde, wo doch die Wohnungsnot so groß sei. Winfried Hermann sprach von Vertrauensbruch.
Galoppierende Amnesie bei Bürgermeister Pätzold (Grüne), dem Kronzeugen für die CDU
Sie müssten es besser wissen. Alle, die zu ihren besseren Zeiten den Widerstand gegen das Projekt noch angeführt hatten, argumentierten damals, die Stadt habe dem Bahnverkehr gewidmete Gleisflächen, also die Katze im Sack, gekauft. Das gilt besonders für den jetzigen Grünen Baubürgermeister Pätzold, der auf einer großen Demo gegen S21 noch 2013 verkündete: „Einem Entwidmungsverfahren würde vermutlich nicht stattgegeben… sondern weiterhin hätte man die Gleisflächen für Eisenbahnverkehr.“ Mit dieser Aussage wurde Pätzold bei der Anhörung im Bundestagsverkehrsausschuss am 2.12. letzten Jahres konfrontiert. Dass Pätzold nicht etwa von seiner Partei als Sachverständiger geladen wurde, sondern von der CDU, um für die Rücknahme der AEG-Reform zu werben, war nur eine der Kuriositäten dieser Ausschusssitzung, die dabei auch zunehmende Risse im Lager der S21-Unterstützenden zwischen Bundesinteressen und vermeintlichen Stuttgarter Lokalinteressen sichtbar machte.

Dr. Werner Sauerborn im Bundestag, als Experte eingeladen
von den Linken
SPD gespalten: SPD-Flege für die Schiene, SPD-Gaßmann erzählt Märchen
So hatte die SPD einerseits Dirk Flege eingeladen, Geschäftsführer von „Allianz pro Schiene“, der die beschlossene Reform zum Schutz der Gleisflächen leidenschaftlich unterstützte, andererseits Rolf Gaßmann vom Mieterbund Baden-Württemberg. Gaßmann, ganz Parteisoldat der Stuttgarter SPD, interessierte sich nicht für Bahnpolitisches oder die Klimaprobleme des S21-Immobilienprojekts, sondern servierte wieder das Märchen vom sozialen Wohnungsbau auf dem Gleisvorfeld als Antwort auf den heutigen Wohnungsmangel.
Die Ambivalenzen der Grünen in der S21-Frage zeigten sich besonders in der Person von Matthias Gastel, der seine Partei im Verkehrsausschuss vertritt. Eindeutig war sein Plädoyer gegen den Pfaffensteigtunnel und für den direkten Gäubahnanschluss, für den man dann eben einen Teil der geplanten Bebauung opfern müsse. Ganz anders die Stuttgarter Grünen Gemeinderäte, die weiter mit den Wölfen heulen und stur am Abbau von Kopfbahnhof und Gäubahnanschluss festhalten bis der klimapolitisch verheerende und nicht finanzierte Pfaffensteigtunnel fertig würde.
Als von der Gruppe Die Linke eingeladener Sachverständiger bot sich mir die seltene Chance, auf Bundeebene mit einiger medialer Resonanz, die ganze Problempalette von S21 vor einem teils kaum informierten und verblüfften Publikum auszubreiten. Diese Chance hat die Bürgerbewegung gegen S21 der Linken bzw. ihrem jetzt ausscheidenden MdB Bernd Riexinger zu verdanken. Keine andere Partei im Bundestag hätte das ermöglicht. Dieser Hinweis kann gern als Wahlempfehlung für die Linke verstanden werden, zumindest für alle, bei denen Stuttgart21 ein Wahlkriterium ist.
Der § 23 AEG gilt – schlecht für Immobilienspekulanten, gut für die Bahn und das Klima
Jetzt gilt also §23 AEG. Eine Entwidmung ist damit so gut wie unmöglich und der Erhalt von Kopfbahnhof und Gäubahnanschluss ziemlich sicher. Die Bahn wird dankbar sein, weil sie natürlich weiß, dass sie die Gleise braucht. Im Auge zu behalten ist allerdings die für S21-Entwidmungen zuständige Außenstelle des EBA in Karlsruhe, die – auch hier ein Riss erkennbar – das Projekt bisher bedenkenlos unterstützt.
Eine Bebauung des Gleisvorfelds ist damit derzeit verwehrt, auch wenn es weitere Versuche für die Rücknahme in der neuen Legislatur geben wird. Wer angesichts solcher Risiken Heerscharen von Planern mit hohem Einsatz von Steuermitteln einfach weitermachen lässt, kann leicht in die Andi-Scheuer-Falle tappen. Das Prestigeprojekt, um das es damals ging, hieß Pkw-Maut. Andi Scheuer trieb es trotz rechtlicher Risiken weiter und hatte 243 Mio.€ Steuergelder versenkt, als der EuGH das Projekt 2019 stoppte. Das sollte hier und da zu denken geben. Für die Bürgerbewegung gegen das Projekt gilt es, die Zeit bis zum nächsten Angriff auf das Reformgesetz zu nutzen und die inhaltlichen Argumente für den Kopfbahnhof und gegen das S21-Immobilienprojekt ins Zentrum der politischen Diskussionen zu stellen.
Autor: Werner Sauerborn, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
Bilder: Privat, SÖS, Screenshot Bundestag
Die Anhörung im Video und Dokumente dazu auf:
https://www.bundestag.de/ausschuesse/a15_verkehr/anhoerungen/1030020-1030020
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