
Unsere FrAktion Die Linke und SÖS besuchte die Ausstellung „Grafik für die Diktatur“. Diktaturen beginnen nach ihrem Machtantritt mit einer Gleichschaltung. Trump führt das gerade vor, die AfD bejubelt es. Wie diese Gleichschaltung in Stuttgart nach 1933 im Kunstbereich durchgesetzt wurde, illustrieren die Bilder im Kunstmuseum. SÖS-Stadträtin Guntrun Müller-Enßlin schildert uns, wie diese Ausstellung auf sie wirkte und meint, unbedingt ansehen. Der Eintritt ist frei.
Das Kunstmuseum Stuttgart hat nach der Ausstellung „Sieh dir die Menschen an“ im vergangenen Jahr innerhalb kurzer Zeit eine weitere hochpolitische Ausstellung präsentiert. Diesmal geht es um „Grafik für die Diktatur“. Wir haben uns als Fraktion eine Stunde Zeit genommen und eine Führung von Kunsthistoriker und Provenienzforscher Kai Artinger bekommen, der uns über die Herkunft der städtischen Grafiksammlung viel erzählt hat. Die ursprünglich mehrere tausend Werke umfassende Sammlung war einer der Bausteine für ein von den Nationalsozialisten geplantes städtisches Kunstmuseum, das nach dem gewonnenen Krieg errichtet werden sollte.

Bild 1-3
Die Geschichten hinter den Bildern lassen einen frösteln
Beim Erwerb entsprechender Werke orientierte man sich damals an einem völkischen, nationalistischen und rassistischen Weltbild, das sich in vielen der ausgestellten Exponate unschwer erkennen lässt. Eine blonde Mutter mit Kopftuch und mit einem Baby auf dem Arm vor einem Kornfeld, das gerade abgeerntet wird (Bild 1). Ein „Revolutionär“ mit Gewehr vor wehender NS-Fahne im Hintergrund (Bild 2). Die Zeichnung der „Thingstätte in Jülich“ entsprach ebenfalls ganz der NS-Ideologie, und ein Pastell von Hitler durfte natürlich auch nicht fehlen. Interessant die Geschichten hinter manchen Bildern, bei denen die nationalsozialistische Doktrin nicht unbedingt ins Auge springt.
Das harmlose Aquarell „Reichsgartenschau“, geschaffen 1939 von Richard Neuz, lässt einen frösteln bei dem Gedanken, dass von der Gartenschau ab 1941 mehrere Deportationen jüdischer Mitbürger ausgingen, um Stuttgart „judenfrei“ zu machen (Bild 3). Die Künstlerin des gut gemalten Aquarells „Durchblick“, war die Frau eines hochrangigen NS-Mitglieds (Bild 4).

Bild 4-6
Die Gleichschaltung erfolgte nicht widerspruchsfrei
Die Mehrzahl der Werke der präsentierten Künstlerinnen, denen in der Ausstellung ein eigenes Kapitel gewidmet ist, wirken dagegen wie Fremdkörper in der Sammlung und lassen sich mit ihren Sujets mit dem damaligen politischen Duktus zu keinerlei Deckung bringen. Ebensowenig wie Gustav Arthur Gräsers „Burg der Armut“ (Bild 5). Ein Hinweis darauf, dass die Sammlungspolitik im Nationalsozialismus nicht widerspruchsfrei war? Auch Werke, deren Entstehungsdatum vor dem Beginn der Nazi-Herrschaft liegt, und die nicht im Einklang mit der NS-Ideologie standen, fanden im Übrigen Eingang in die Sammlung.
Die nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur in die Grafiksammlung aufgenommenen Werke tragen eine pointiert neue andere Handschrift. Das Augenmerk der Künstler richtet sich nun auf die Abgründe des vergangenen Schreckensregimes mit ihren ungeheuerlichen Auswüchsen. Die unter die Haut gehende Kohlezeichnung „Gaskammer“ von Shmuel Shapiro ist nicht nur eine ungeschminkte Darstellung diktatorischen NS-Grauens, sondern auch ein Zeugnis wieder gewonnener Kunstfreiheit, nach dem Zusammenbruch des dritten Reiches (Bild 6).
Kunst: Firniss der Zivilisation
Fazit unseres Besuchs: „Grafik für die Diktatur“ ist eine hochspannende gewinnbringende Ausstellung, die zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit anregt, um nicht in deren Fallen zu tappen.
In Zeiten, in denen die CDU mit der AfD kuschelt und nach der gewonnenen Bundestagswahl nichts anderes zu tun hat, NGOs wie BUND und Greenpeace zu diskreditieren, erinnert „Grafik für die Diktatur“ daran, was für ein kostbares Gut eine nicht der Zensur unterworfene Kunst- und Kulturszene ist, die sich auch erlauben darf, Kritisches abzubilden. Am Beispiel der USA unter Trump und Musk erleben wir derzeit, dass der Firniss der Zivilisation samt dem Leitbild der Demokratie zuweilen mit Lichtgeschwindigkeit bröckelt und zutiefst menschenverachtenden Strukturen die Oberhand übergibt. Entsprechenden Entwicklungen zu begegnen und die Vielfalt unserer Kulturlandschaft nicht zuletzt im Sinn eines politischen Korrektivs zu erhalten – das ist uns als Fraktion ein dringendes Anliegen, weshalb wir uns auch in den kommenden Doppelhaushalts-Beratungen wieder ausdrücklich für eine auskömmliche Förderung der Stuttgarter Kulturinstitutionen einsetzen werden.
Die Ausstellung „Grafik für die Diktatur“ ist noch bis zum 14.09.2025 im Kunstmuseum Stuttgart zu besichtigen. Der Eintritt ist anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Kunstmuseums frei.

Autorin: Guntrun Müller-Enßlin, SÖS-Stadträtin
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