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Interview: Der EnBW den Stecker ziehen!

8. Mai 2023

Und was dann?

Interview mit SÖS Stadtrat Hannes Rockenbauch

SÖS: Hannes, derzeit ist wohl der Wurm drin, fast nur noch Hiobsbotschaften aus dem Stuttgarter Rathaus. Die Ziele beim Fotovoltaikausbau werden nicht erreicht, die Stadtklimatologen verkündigen, Stuttgart werde wohl die heißeste Stadt Deutschlands werden, die Streckensperrungen der Bahn konterkarieren eine Mobilitätswende, die Mietpreise steigen weiter, und jetzt, darüber wollen wir heute sprechen, hat die EnBW angekündigt, 800 Wohnungen im Stöckach nicht zu bauen.

Keine Naturereignisse

Hannes Rockenbauch: Das alles sind keine Naturereignisse, Stuttgart und seine Einwohner büßen für die Unterlassungen in der Ära der Oberbürgermeister Schuster (CDU) und Kuhn (Grüne). Heute steht in der Stuttgarter Zeitung: „Als die Grünen in Stuttgart die Hebel der Macht in Hand hatten, gelang es ihnen nicht einmal, mit Anstand zu scheitern. Da sie nichts taten, konnte auch nichts misslingen. Jetzt hängen sie in den Seilen“ (03.05.23). Das ist nur die halbe Wahrheit. Die Grünen haben zusammen mit CDU, SPD und FDP eine Wende zur Klimaneutralität blockiert. Gerade zur Anpassung an den Klimawandel bringe ich seit 20 Jahren, zu Beginn noch als Einzelstadtrat, Anträge ein, deren Realisierung einiges verhindert hätte. Ich wurde leider nicht ernstgenommen, oft auch von der Grünenfraktion nicht.

Frischluftschneisen nicht zubauen

SÖS: Was waren Deine Vorschläge?

Hannes Rockenbauch: Ein Beispiel:Frischluftschneisen dürfen nicht zugebaut werden, Allianz hätte keine Bauerlaubnis in Vaihingen bekommen dürfen, die Gleisflächen im Rosenstein dürften wegen ihrer Klima-Kaltluftfunktion nicht bebaut werden, doch die Milliarden-Profite durch S21 waren wichtiger. Angesichts der Hitzeprognosen für den Kessel muss dies jetzt erneut diskutiert werden. Seit mehreren Haushaltsberatungen beantragen wir Gelder für Stadtbegrünung und Straßenrückbau und sind leider damit bei CDU, SPD und Grünen nur auf Ablehnung gestoßen

Von Anfang an abgelehnt

SÖS: Kommen wir auf die EnBW-Absage von 800 Wohnungen im Stöckach zurück. Was hat es damit auf sich?

Hannes Rockenbauch: Man muss die ganze Geschichte kennen.Die EnBW besitzt 4,2 Hektar Betriebsgelände, nur weil der Gemeinderat Anfang der 2000er Jahre den gigantischen Fehler gemacht hat, die Technischen Werke Stuttgart (TWS) zu privatisieren. Mit diesem ehemals städtischen Grundstück wollte die EnBW nun den Einstieg in ein völlig neues Geschäftsmodell wagen. Aus den Betriebsflächen wollte sie eine Vorzeige Smart City machen. In diesem Stadtteil wäre sie der Universaldienstleister, vom Wohnen über das Glasfaser bis zur Vernetzung aller Dienste würde sie alles anbieten. Es sollte eine datengesteuerte „Stadt in der Stadt“ werden, der Gemeinderat bleibt außen vor. Und diese Smart City sollte dauerhafte Profite für die EnBW ermöglichen. Der Stöckach sollte ein Leuchtturmprojekt werden, das dann weltweit vermarktet wird. Diese Art, mit Stadtentwicklung Profite zumachen, habe ich von Anfang an kritisiert und abgelehnt. Doch in ihrer Investorenhörigkeit stimmten bis jetzt alle anderen Parteien diesen Plänen zu.

SÖS: Wie erklärt sich nun die Absage der EnBW?

Hannes Rockenbauch: Durch die gestiegenen Bau- und Energiepreisebringt das Projekt nicht mehr die Mindestrendite von 4%. Das habe ich befürchtet: es geht nicht um Wohnungen, sondern um Rendite. Dazu kommt, dass der ehemalige fossile Konzern EnBW vor der gigantischen Herausforderung, der Transformation hin zu erneuerbaren Energien, steht. Nun heißt es, man wolle sich auf diese Kernaufgabe konzentrieren. Wie sehr die EnBW hier unter Druck steht, sieht man an den Plänen, ihre eigene Übertragungsnetzgesellschaft, die TransnetBW teilzuprivatisieren, um an frisches Geld zu kommen.

SÖS: Wie bewertest Du diesen Schritt der EnBW?

Hannes Rockenbauch: Aus Sicht eines Energiekonzerns ist die Konzentration auf das Kerngeschäft das einzig Richtige. Und für die Stadt ist das Ganze jetzt eine gigantische Chance. Angesichts der Wohnungsnot können wir den dringend benötigten Bau von Wohnungen nicht auf den Sanktnimmerleins-Tag verschieben, wie beim Rosensteinviertel. Ich sehe deswegen die Chance, dass jetzt die anderen Fraktionen aufwachen, der EnBW den Stecker ziehen und das Projekt in eigener Regie realisieren. Mit unserer Gemeinderatsfraktion fordert SÖS: Die Stadt muss der EnBW das Gelände abkaufen, sie hat das Vorkaufsrecht.

SÖS: Die EnBW möchte bis jetzt aber noch gar nicht verkaufen und will stattdessen die Planungen weitervoran treiben. Wie reimt sich das zusammen?

Hannes Rockenbauch: Das ist ein durchschaubares Manöver. Darauf darf sich der Gemeinderat nicht einlassen. Klar, die EnBW will möglichst schnell einen Bebauungsplanbeschluss. Denn beschließt der Gemeinderat erstmal das Baurecht, dann würde das den Bodenpreis auf einen Schlag um einen hohen zweistelligen Millionenbetrag erhöhen. Mit diesem Spekulationsgewinn in der Tasche ließe sich das ehemalige Betriebsgelände wunderbar verkaufen. Selbst wenn die Stadt dann von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen würde, müsste sie ein Vielfaches von dem zahlen, was die Fläche heute wert ist. Das muss verhindert werden. 

Bebauungsplan stoppen!

SÖS: Was sollte der Gemeinderat Deiner Meinung nach jetzt tun?

Hannes Rockenbauch: Die ökosoziale Mehrheit muss jetzt umgehend den Bebauungsplan stoppen und der EnBW klarmachen, dass die einzige Option für sie die ist, die Fläche zum heutigen Wert an die Stadt zu verkaufen. Auf die Initiative unserer FrAktion haben wir dazu jetzt einen gemeinsamen Antrag mit Puls und SPD gemacht. Leider fehlen mal wieder die Grünen. Ich finde das eine Katastrophe, denn gerade die Grünen müssten unser Interesse teilen, dass wir alle Innenentwicklungspotentiale schnell und 100% gemeinnützig nutzen, denn nur so können wir die von CDU und SPD immer offener geforderte klimaschädliche Außenentwicklung, Wohnungsbau auf Grünflächen, verhindern.

800 bezahlbare Wohnungen am Stöckach

SÖS: Was erhoffst Du Dir?

Hannes Rockenbauch: Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat aus diesem Fall und der Vergangenheit lernen. Sie sollten sich erinnern: Der Sündenfall war die Verramschung von 20 000 Wohnungen im Nordbahnhofviertel vor 10 Jahren an die Patricia, mit Zustimmung der Grün-Roten Landesregierung. Und unter OB Kuhn wurde weiter städtisches Bauland z.B. am Vogelsang an private Investoren verkauft, die kein Interesse an bezahlbaren Wohnungen haben. Unsere Gemeinderatsfraktion ist dagegen immer aufgetreten. Denn Private entwickeln immer nur unter Zwang und zu einem Bruchteil geförderte Wohnungen. Das ist irre. Teure Wohnungen gibt es genug. Bei knappen Flächen müssen alle Flächen mit 100% bezahlbaren Wohnungen bebaut werden. Für den neuen Stöckach heißt das konkret, statt nur 320 bezahlbare Wohnungen, wie die EnBW plante, könnte die Stadt ganze 800 dauerhaft als bezahlbar gesicherte Wohnungen verwirklichen.

Andere Städte machen es vor

SÖS: Es wird argumentiert, die Stadt hätte weder das Planungs-Knowhow noch das Personal, um umfangreiche Wohnbauprojekte zu realisieren!

Hannes Rockenbauch: Das kann ich nicht mehr hören. In den letzten 20 Jahren, als es noch genügend Personal gab, brüsteten sich Schuster, Föll und Kuhn mit ihrer Personal-Sparpolitik, gegen den Widerstand des Personalrats, und nun vergießen alle Krokodilstränen über die Ergebnisse ihres Handelns. Und zum zweiten zeigen Städte in Deutschland und Europa, dass nur eine Stadt eine soziale Wohnungsbaupolitik machen kann. Ulm und Wien machen das beispielhaft vor. In Wirklichkeit ist es doch so, dass gerade in der jetzigen Situation die Privaten wie die EnBW plötzlich die Lust am Bauen verlieren. Wenn die Privaten nicht wollen, dann sollen sie es lassen und wir als Stadt übernehmen das. Das nötige Geld dazu ist in Stuttgart vorhanden. Das gilt am Stöckach, aber z.B. auch für das Eiermann-Areal in Stuttgart Vaihingen. Wir müssen begreifen, das Ganze ist eine Chance für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung in städtischer Hand.

Politik nach Ulmer Modell

SÖS: Besitzt die Stadt die Instrumente, um das durchzusetzen?

Hannes Rockenbauch: Ja klar.Jahrelang hat sich die Mehrheit des Gemeinderats von den bunten Exposés und Sprechblasen der Investoren blenden lassen. Ich hoffe, hier setzt endlich ein Umdenken ein. Wir brauchen endlich eine Politik nach dem Ulmer Modell. Für alle privaten Investoren muss klar sein: es gibt für sie kein höherwertiges Baurecht mehr: Auf Planungsgewinne durch neue Bebauungspläne brauchen sie gar nicht mehr spekulieren. Wollen sie ihre Flächen verwerten, bleibt ihnen nur der Verkauf an die Stadt. Erst wenn die zu entwickelnde Fläche in städtischer Hand ist, gibt es neues Planrecht. Nur so bleibt der Planungsgewinn bei der Stadt und Spekulation wird verhindert. Sollten Eigentümerinnen wie die EnBW dann zum trotz Flächen brach liegenlassen, können wir sie mit städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen nach dem Baugesetzbuch zur Entwicklung oder Enteignung zwingen.

SÖS: Meinst Du, das kann gelingen?

Hannes Rockenbauch: Wenn der politische Wille da ist, sind wir handlungsfähig. Der einzige Weg für bezahlbare Wohnungen ist es, der Investorenhörigkeit und der Spekulation mit Grund und Boden in unserer Stadt ein Ende zu setzen. Wir von SÖS fordern die anderen Fraktionen auf, mit uns diesen Weg zu gehen. Gelingt uns dieses Umdenken, dann ist das eine historische Chance für Stuttgart.

SÖS: Hannes, wir danken Dir für das Interview.

YouTube Video
Video von Hannes zum Stöckachareal und der EnBW auf Youtube

Das Interview führte Peter Hensinger (SÖS Newsletter Redaktion)

Bilder: Die FrAKTION, Roland Hägele


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