Bus und Bahn kostenlos, was sonst?
Das Bürgerbegehren für einen kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) ist gestartet. Der ÖPNV ist eine Hauptschlagader der Stadt, für den Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, zu Kultur und Freizeit. Kostenloser ÖPNV, das ist nicht nur eine sozial gerechte Maßnahme. Die Klimakrise erfordert jetzt eine Verkehrswende.
Das Bürgerbegehren hat folgende Fragestellung:
„Sind Sie dafür, dass die Stadt Stuttgart das Ziel verfolgt, in Stuttgart in der Zone1 einen kostenlosen Nahverkehr einzuführen, und dass die Verwaltung beauftragt wird, in Absprache mit den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) und dem Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) dazu eine Beschlussvorlage zur konkreten Umsetzung zu erarbeiten und dem Gemeinderat zur Entscheidung vorzulegen?“
Wir führten dazu ein Interview mit einer der Initiator*innen, Andrea Schmidt, die auch auf der SÖS-Liste für den Gemeinderat kandidiert.
Andrea Schmidt (Freifahren Stuttgart), Oskar Otto (Fridays for Future) und Hannes Rockenbauch (SÖS), die Initiator*innen und Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens
SÖS: Das Bürgerbegehren für Bus und Bahn ist gestartet? Wer sind die Initiator*innen?
Andrea Schmidt: Am 15. März haben wir zu einem Pressegespräch vor die Raupe Immersatt an der Endhaltestelle der U2 eingeladen. Die Initiative für das Bürgerbegehren ist eine Kooperation von Fridays for Future Stuttgart, Freifahren Stuttgart und SÖS. Wir sind auch ganz zufrieden mit der lokalen Berichterstattung.
SÖS: Warum das Bürgerbegehren?
Andrea Schmidt: Die Umsetzung des kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr ist ein wirksamer Beitrag für mehr Klimagerechtigkeit und ein wichtiger Baustein, um das beschlossene Ziel „Stuttgart klimaneutral bis 2035“ zu erreichen. Der motorisierte Individualverkehr ist einer der Hauptverursacher der CO2- Emissionen in Stuttgart. Die Stadt ist Modellkommune und hat im Klimamobilitätsplan die Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis 2030 festgelegt.
Es gibt ein Recht auf Mobilität. Wir wollen niemanden in der Mobilität einschränken, aber angesichts der Klimakrise müssen wir klare Rahmenbedingungen für die Mobilität festlegen. Der ticketlose ÖPNV ist ein wichtiges Instrument gegen soziale Ausgrenzung und eine Garantie für unser aller Recht auf Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben.
Kostenloser Nahverkehr ist keine Utopie. Bereits über 10 Jahre wird er in Tallinn realisiert. 2020 hat Luxemburg als erstes Land den kostenlosen ÖPNV eingeführt. Luxemburg hat einige Gemeinsamkeiten mit Stuttgart, Einwohnerzahl und die große Anzahl der Pendler*innen.
Mit dem kostenlosen Nahverkehr entsteht auch in Stuttgart ein zukunftsfähiges Modell für Mobilität für alle – als Ausweg aus der Sackgasse des hochsubventionierten motorisierten Individualverkehrs.
Ein Bürgerbegehren ist natürlich auch immer ein gutes Instrument für Organizing. Wir kommen mit Menschen ins Gespräch und erfahren, was ihnen unter den Fingernägeln brennt. Es ist auch eine Einladung, gemeinsam politisch zu kämpfen.
SÖS: Warum jetzt? Ist das überhaupt finanzierbar?
Andrea Schmidt: Wichtige politisch Akteure in Stuttgart wie Fridays for Future, Freifahren Stuttgart und SÖS haben jetzt zusammengefunden.
Die Einführung des 9€-Ticket für 3 Monate hat deutlich gezeigt, dass kostenloser Nahverkehr keine Frage der Finanzierung ist, sondern eine politische Entscheidung, für mehr Klimagerechtigkeit, gegen soziale Ausgrenzung.
Fahrgasterhebungen haben gezeigt, dass die Nutzung des ÖPNVs deutlich angestiegen ist.
Der Öffentliche Nahverkehr gehört zur Daseinsvorsorge. Durch die kommende Nahverkehrsabgabe wird den Kommunen ein wichtiges Instrument zur Finanzierung eines kostenlosen ÖPNVs in die Hand gegeben.
SÖS: Wie läuft´s?
Andrea Schmidt: Bis jetzt erfahren wir sehr viel Zustimmung. Eigentlich deckt sich das mit der repräsentativen Umfrage von 2020, bei der sich 72% der Befragten bundesweit für einen kostenlosen Nahverkehr ausgesprochen haben. Keine andere Forderung erhält so große Zustimmung.
Und natürlich kommt die Frage der Finanzierung.
SÖS: Nochmals! Und wie sieht die Finanzierung aus? Hat schon mal jemand ausgerechnet, ob das die Kommunen stemmen können?
Andrea Schmidt: Ein Bürgerbegehren muss auch immer einen Finanzierungsvorschlag beinhalten.
Der Landesgesetzgeber ist gerade dabei, die gesetzliche Grundlage für eine solidarische Finanzierung des Nahverkehrs zu schaffen: den Mobilitätspass.
Eine Studie des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg hat die möglichen Einnahmen für Stuttgart untersucht. Durch die Einführung eines Mobilitätspasses in Form einer Arbeitgeber*innen-Abgabe, bei der alle Unternehmen für jede*n ihrer Beschäftigten eine monatliche Abgabe von 49 Euro leisten (wie es die Stadt für ihre Beschäftigten bereits tut), ließen sich 250 bis 300 Mio. Euro Einnahmen pro Jahr erzielen. Laut Geschäftsbericht der SSB von 2022 beliefen sich die kompletten Fahrgeldeinnahmen auf 151 Mio. Euro.
Durch unseren Finanzierungsvorschlag für einen solidarisch finanzierten ÖPNV in Stuttgart, können wir nicht nur den ÖPNV ticketlos gestalten, sondern auch den nötigen Ausbau der Infrastruktur für Bus und Bahn vorantreiben, sowie auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigen verbessern.
SÖS: Warum tragt ihr ein pinkfarbenes Handtuch um den Hals?
Andrea Schmidt: Es ist immer gut bei politischen Aktionen ein Erkennungsmerkmal zu haben. Zum Beispiel waren es bei Ende Gelände die weißen Maleranzüge, bei der Kampagne „Wir fahren zusammen“ sind es gelbe Warnwesten. Und so kamen wir auf pinkfarbene Handtücher. Pinkfarbene Handtücher an einem Infostand oder bei einer Demo um den Hals zu tragen, macht genau so wenig Sinn wie ein Ticket in Bus und Bahn. Aber falls jemand demnächst per Anhalter durch die Galaxis unterwegs ist, nimm ein Handtuch mit.
SÖS: Gute Idee, aber bleiben wir in Stuttgart! Was ist jetzt zu tun?
Andrea Schmidt: Unterzeichnen Sie das Bürgerbegehren, helfen Sie mit die notwendigen 20.000 Unterschriften zu sammeln. Es wäre doch großartig, wenn endlich der kostenlose ÖPNV in Stuttgart umgesetzt wird. Bus und Bahn kostenlos ist klimagerecht, sozialgerecht und solidarisch.
Alles über das Bürgerbegehren und wie auch Sie mitmachen können:
Bilder: Initiative „Bus und Bahn kostenlos“