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„Wirtschaft first. Planet second!“ – Nein zur Katastrophe mit Ansage! 

27. Januar 2025

Der Kampf gegen die Klimakatastrophe ist einem Rollback ausgesetzt. Nicht nur Trump will nichts mehr davon wissen. „Wirtschaft first“ titelt die Stuttgarter Zeitung (22.01.). „Bedenken second“ könnte man in Anlehnung an den Lindner-Spruch „Digital first. Bedenken second“ assoziieren. Auch die Landes- und Kommunalpolitik gehen in diese Richtung. Und OB Nopper organisiert einen Autogipfel, aber keinen Klimagipfel. Den Menschen wird Angst gemacht: Klimaschutz bedeute Wohlstandsverzicht und Arbeitsplatzverlust. Über diese verhängnisvolle Entwicklung sprechen wir mit unserem Stadtrat Hannes Rockenbauch. 

SÖS: Hallo Hannes, die Klimakatastrophe und das Artensterben beschleunigen sich weltweit. Aber in der Politik gerät dieses größte Problem der Menschheit immer mehr in den Hintergrund. Für Trump gibt es keine Klimakatastrophe. Aber auch Bosch-Chef Stefan Hartung will die Lockerung der EU-Klimaziele (StZ 11.10.24), Mahle-Chef Arnd Franz warnt vor einem Festhalten der CO2-Ziele der EU (12.10.24). Statt eines Klimagipfels veranstaltet OB Nopper einen Autogipfel, und FDP-Lindner fordert als Bürokratieabbau gleich die Auflösung des Umweltbundesamtes.

Hannes: Es ist tatsächlich fatal. Für Lindner, die Industrie und scheinbar auch OB Nopper ist die Welt in Ordnung, wenn die Profite sprudeln. Die Umwelt ist für sie ein Selbstbedienungsladen, um Wachstumsziele zu verwirklichen. Auf dem Autogipfel in Stuttgart ging es nur um Wachstum. Die Forderung von Lindner, das Umweltbundesamt aufzulösen, ist der Gipfel. Für die FDP hoffe ich, dass sie bei der Bundestagswahl für ihre zerstörerische Politik die Quittung bekommt. 

SÖS: Du warst als Referent auf den Umwelttagen des BUND und NABU in Radolfzell. Was schlagen die Umweltverbände vor? 

Hannes: Die Teilnehmenden der 48. Naturschutztage forderten anlässlich der anstehenden Neuwahlen den Abbau umweltschädlicher Subventionen und mehr Geld für den Schutz von Natur, Umwelt und Klima. Studien zeigen, dass rund 65 Milliarden Euro verfügbar wären, wenn umweltschädliche Subventionen wie steuerliche Vorteile für Dieselkraftstoff oder die private Nutzung von Dienstwagen gestrichen würden. Anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, hat die Ampelregierung bis zum Bruch im Herbst daran kaum etwas geändert. Dabei würden diese Mittel für die langfristige Finanzierung von Maßnahmen im Klima- und Naturschutz dringend benötigt.  Mit Bannern und Plakaten riefen die Teilnehmenden die Bundespolitik dazu auf, diese Mittel für die langfristige Finanzierung von Maßnahmen im Klima- und Naturschutz zu investieren.

Umwelttage von BUND und NABU: Appelle für ein sofortiges Umsteuern zur Rettung der Umwelt

SÖS: Dem wird entgegengehalten, von CDU bis GRÜN: Nur das Wachstum sichere Arbeitsplätze und den Wohlstand und bringe Geld für den Umweltschutz. Bei klammen Kassen gebe es auch keinen Umweltschutz.

Hannes: Völlig falsch. Die Klimakatastrophe macht die Kassen erst recht klamm. Im Jahr 2023 verursachten Naturkatastrophen weltweit Schäden in Höhe von etwa 250 Milliarden US-Dollar. Die Umweltschäden in Folge von Bränden, Dürren und Überschwemmungen werden im ersten Halbjahr 2024 auf mehr als 111 Milliarden Euro, die Folgekosten der Zerstörung ganzer Stadteile durch die Brände  in Los Angeles auf 150 Milliarden geschätzt. Das alles ist das Ergebnis einer zerstörerischen Produktionsweise. Was nützt uns langfristig ein Daimler SUV oder ein 600 PS-Porsche, wenn ihr Ressourcen- und Energieverbrauch unsere Lebensgrundlagen zerstört? Wir brauchen eine Wirtschaft, die nicht am Profit orientiert ist, sondern an der Umweltverträglichkeit und am sozialen Zusammenhalt auf unserem Planeten. 

SÖS: Was wurde auf den Naturschutztagen als Alternativen vorgeschlagen?

Hannes: Der Raubbau an der Natur muss gestoppt werden.Es braucht Milliarden Euro für den Natur- und Klimaschutz, mit Maßnahmen, die sozial gerecht sind und alle mitnehmen. Die richtigen Ansätze und Ideen dazu gibt es bereits: Ein Klimageld, das insbesondere einkommensschwache Haushalte entlastet. Das Deutschlandticket als Anreiz, mehr Bus und Bahn, statt das Auto zu nutzen. Dazu ein Jugend- und  Sozial-Ticket für 29 Euro. Regelungen, die landwirtschaftliche Betriebe nicht für die Größe ihrer Produktionsfläche, sondern für Leistungen im Umwelt- und Naturschutz honorieren. Das europäische Gesetz zur Wiederherstellung der Natur und gezielte Aktionsprogramme zum Erhalt bedrohter Arten und Naturräume müssen dauerhaft finanziert und umgesetzt werden. Die Instrumente sind da. Und das Geld auch. Jetzt braucht es den politischen Willen zur Umsetzung.

Unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten zerstört unsere Lebensgrundlagen. CDU, SPD, FDP und AfD werben für den Weg in die Katastrophe! Im Bild: Plakat am Bismarckplatz an der Sammelstelle für Christbäume. 

SÖS: Gut, dass die Naturschutzverbändedies von der Bundes- und Landespolitik fordern, aber SÖS wirkt lokal in Stuttgart! Der Soziologe Jens Beckert vom Max-Plack-Institut in Köln kommt in seinem Buch „Verkaufte Zukunft“ zu dem Schluss, dass „moralische Handlungsstrukturen“ nur im „sozialen Beziehungsgeflecht“ auf der „Ebene lokaler Politik“ entstehen, von dort der Widerstand ausgehen muss, weil die Industrie gewissenlos auf Wachstum ohne Rücksicht auf die Umwelt setzt!

Hannes: Ja, da ist was Richtiges dran.Zum Glück hat Stuttgart SÖS und unsere Fraktion im Gemeinderat. Wir handeln lokal und sind das ökologische und soziale Gewissen im Gemeinderat. Leider scheitern die Parteien, von CDU, SPD bis GRÜN, zu oft auch im scheinbaren Kleinen der Kommunalpolitik. Sie schauen tatenlos zu, wenn jetzt bei den Wagenhallen ein Biotop vernichtet und 134 Bäume gefällt werden. Oder jetzt aktuell im Gemeinderat, wenn es um den Erhalt der Gäubahn geht, Augen zu und durch. Die Grünen haben noch ein bisschen Bauchschmerzen. Okay, aber wem hilft das? Dennoch müssen wir differenzieren: Während Grüne und SPD einfach oft der Mut fehlt, betreibt die CDU ganz offen und frech das ökologische und soziale Rollback. So verhindert die CDU mit ihrem Kampf um jeden Parkplatz sichere Fuß- und Radwege. Seit neuestem redet ihr Fraktionsvorsitzender offen darüber, dass das mit dem Klimaziel doch nicht ganz so wichtig und eh nicht zu erreichen sei. Unsere Fraktion und unsere Aktiven bei SÖS halten oft als Einzige dagegen. Unsere Bezirksbeirätin Irene Kamm hat maßgeblich den Bürgerrat Klima mit initiiert, und Jonathan Heckert, der auf unserer SÖS-Liste kandidierte, war beteiligt an der erfolgreichen Klimaklage am Bundesverfassungsgericht. Wir bleiben dran! 

SÖS: Wie der Gemeinderat mit den Vorschlägen des Bürgerrates umgegangen ist, ist doch ernüchternd!

Hannes: Der Bürgerrat hat hervorragende Arbeit gemacht, ein Sofortprogramm erarbeitet und kommt sich jetzt als demokratisches Feigenblatt vor.Seine Vorschläge sind praktisch in der Ablage des OB Büros verschwunden. Der Gemeinderat hat lediglich Alibimaßnahmen beschlossen.

Der Bürgerrat Klima hat Maßnahmen vorgeschlagen, die sofort umsetzbar wären!

SÖS: So kreiert man Politikverdrossenheit!Drees und Sommer haben in ihrem Gutachten  „Organisationsstruktur Klimaneutralität 2035“ der Stadt Stuttgart ein völliges Versagen in der Klimafrage bescheinigt! Ernst genommen werden von Oberbürgermeister Nopper die Absatzprobleme der Wirtschaft, alles andere scheint vernachlässigbar zu sein! Im Grunde beweist die Untätigkeit, dass die Klimakatastrophe nicht ernst genommen wird. 

Hannes: Unsere Fraktion Die Linke und SÖS muss deshalb auch eine entschiedene Gangart einschlagen! Wir haben im Januar den Antrag „Noch zehn Jahre bis zur Klimaneutralität – der Oberbürgermeister muss jetzt endlich liefern!“ gestellt. Seit dem Beschluss des Gemeinderats, die Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 zu erreichen, sind mehr als 900 Tage vergangen. Seitdem ist viel zu wenig passiert. In den Bereichen Wärme- und Verkehrswende kommt Stuttgart nicht voran.  Das versprochene Stadtgeschwindigkeitskonzept liegt immer noch nicht vor. Der Klimamobilitätsplan entfaltet keinerlei Wirkung. Wir haben keine einzige Maßnahme gesehen, die das im Klimafahrplan festgeschriebene Ziel ‚Reduktion des Verkehrsaufkommens‘ verfolgt. Die jetzige Wärmeplanung ist zu unambitioniert und birgt erheblichen sozialen Sprengstoff. Verständlich, dass angesichts dieser mangelnden Umsetzung Zweifel aufkommen, ob das Klimaziel zu erreichen ist. Dass der Oberbürgermeister diese Zweifel laut Medienberichterstattung nicht sehen will, hilft nicht weiter. Woher der Oberbürgermeister seine Zuversicht nimmt, ist mir ein Rätsel. Dieses Trauerspiel setzt sich in der Landesregierung fort. Der Sachverständigenrat kritisierte, dass das Landesziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, in weite Ferne rückt, nachhaltige Klimaschutzfortschritte seien nicht zu beobachten (StZ, 19.10. 2024). 

SÖS: Aber Hannes, seit 20 Jahren kritisierst Du diese Untätigkeit. Muss da nicht bald bei Dir  Geduldsfaden platzen? Die Stadt Heidelberg hat seit 2020 einen eigenen Bürgermeister für Klimaschutz, Umwelt und Mobilität, der, will man dem Interview in der Stuttgarter Zeitung glauben, richtig Schwung reingebracht hat (17.10.24). 

Hannes: Ganz ehrlich, Ja! –  ich bin gerade extrem zornig. Beispiel Klimabürgermeister, für einen solchen Bürgermeister plädiere ich schon lange. Es macht mich fassungslos, wie ignorant das Trio Nopper, Pätzold und Körner auf das Gutachten von Drees & Sommer reagiert. Denn ihre Passivität bedeutet de facto, man akzeptiert das Artensterben, und letztlich die Gefährdung der Existenz der Spezies Mensch. Welche Zukunft haben meine Kinder in einem Stuttgart, dessen Mikroklima, nicht zuletzt durch die Rosensteinbebauung, kaputt gemacht wird?! Drees & Sommer haben schonungslos aufgezeigt, dass die Verwaltung organisatorisch und inhaltlich überhaupt nicht so aufgestellt ist, dass wir das Klimaneutralitätsziel erreichen können – der Oberbürgermeister sitzt teilnahms – und ahnungslos daneben und ergreift nicht die Initiative, die es braucht, damit wir substanzielle Fortschritte machen. Und die GRÜNEN schonen den Umweltbürgermeister Pätzold aus Parteitreue. Und die SPD tut dasselbe bei ihrem Genossen Martin Körner, OB Noppers Chef-Stratege. Dabei liegen die Alternativkonzepte alle vor! Und Stuttgart hätte auch noch wirklich alles, um die ehrgeizigen Klimaziel doch noch zu schaffen. Ich bin nach wie vor überzeugt: “Wo ein Wille ist, ist ein Weg“. Gerade jetzt, wo alle wegen Trump und mit falscher Rücksicht auf die Industriebosse beim Klima bremsen, können wir in Stuttgart Wege des Gelingens und des Mehrwerts für alle aufzeigen. 

Ich glaube, wir können in dieser Situation fast nur noch durch außerparlamentarischen Druck von Umweltverbänden und Fridays for Future was Großes ins Rollen bringen. Gemeinsam müssen wir Willigen uns mal beraten und einen Zahn zulegen. Die parlamentarische und außerparlamentarische Unterstützung von SÖS haben sie.  

SÖS: Jetzt wird ein für Stuttgart neues Argument kommen: Die fetten Jahre sind vorbei, die Stadtkassen sind klamm, auch für den „Luxus“ Klimaschutz! 

Hannes: Dass Klimaschutz ein Luxus oder ein Projekt der ökologischen Eliten sei, ist ein gefährliches Narrativ der Rechten. Aber die versäumte Millionen – Investitionen in den Klimaschutz von heute werden morgen Schäden zur Folge haben, die Milliarden kosten. Denn klar ist doch, wenn wir jetzt nicht entschieden handeln, geht es am Ende nicht nur um Klimafolgeschäden, die uns als Gesellschaft Milliarden kosten, es geht schlicht um Leben und Tod.

Für SÖS ist klar, auch in Zeiten sich verändernden Einnahmesituationen für die öffentlichen Haushalte, der Klimaschutz und die Klimaanpassung sind nicht verhandelbar. Genauso unverhandelbar ist für uns aber auch, dass diese Veränderung nur gemeinsam mit den Menschen und sozial gestaltet gelingen kann. Was wir jetzt brauchen, sind mutige und große Investitionen in Klimaneutralität und den sozialen Zusammenhalt unserer Stadt. Gerade jetzt braucht es Maßnahmen wie den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, eine funktionierende Stadtverwaltung und eine soziale Wärmewende. Nur so verteidigen wir unsere Demokratie vor der Klimakrise und dem neu aufkeimenden Faschismus. 

SÖS: Lieber Hannes, danke für das Gespräch. 

Die Fragen stellte Peter Hensinger von der SÖS-Newsletter-Redaktion
Bilder: SÖS, BUND, LHS Parsyak


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