
Prozess um die Gäubahnkappung – Plan A gescheitert, Plan B fehlt
Mitte Februar verhandelte das Verwaltungsgericht Stuttgart über zwei Klagen gegen die geplante Kappung der Gäubahn. Ab April 2026 soll diese vom Stuttgarter Hauptbahnhof nach Singen und weiter in die Schweiz und nach Italien führende internationale Bahnstrecke in Stuttgart-Vaihingen enden. Reisende könnten dann nicht mehr umsteigefrei bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof und Stadtzentrum bzw. ab dort fahren, sondern müssten zwischen Vaihingen und Hauptbahnhof S-Bahnen und Stadtbahnen benützen. Dieser Zustand soll nach derzeitiger Planung mindestens 6 Jahre, vermutlich aber viel länger, andauern.
Zusammengefasst: Das Gericht hat die Chance verpasst, Nägel mit Köpfen zu machen. Sein Bemühen um einen kurzen Prozess führt stattdessen zu einer Prozesslawine in der nächsten Instanz beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim. Der Klimaschutz bleibt zumindest vorläufig auf der Strecke. Denn eine nicht mehr funktionierende Bahnverbindung wird – wie von den klagenden Verbänden vorgetragen – insbesondere bei Pendlerinnen und Pendlern zur Verlagerung auf den Autoverkehr führen. Also genau das Ergebnis, das der angestrebten Verdoppelung der Personenzahlen im Bahnverkehr widerspricht.

Begrüßung der Prozessbeteiligten vor dem Verwaltungsgericht.
Klimafolgen kein Klagegrund – aber Verfahren wird an den VGH verwiesen
Die beklagte Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Eisenbahn-Bundesamt (EBA), sah sich zwei Klägern gegenüber, die ihre Klagebefugnis aus der Zulassung als Umweltverbände herleiteten. Während sich das Gericht offensichtlich nicht traute, der von zahlreichen Kommunen und Parteien an der Gäubahnstrecke unterstützten Deutschen Umwelthilfe (DUH) die Klagebefugnis abzusprechen, hatte es beim Landesnaturschutzverband (LNV) weniger Bedenken. Der LNV hatte argumentiert, die von der Bahn angekündigte Unterbrechung sei in Wahrheit eine Stilllegung der Strecke. Das interessierte das Gericht nicht. Nach seiner Auffassung sind Klimafolgen bei einer Stilllegung nicht zu berücksichtigen und folglich sei ein Umweltverband nicht klageberechtigt. Somit wurde die Klage schon am ersten Tag abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen.
Was auf den ersten Blick als Niederlage wirkte, war aber in Wahrheit ein Teilerfolg. Denn der LNV- Bevollmächtigte Professor Dr. Urs Kramer hatte einen Hilfsantrag gestellt. Falls die Klage gegen eine Stilllegung keinen Erfolg habe, müsse das EBA zu einer Änderung des Planfeststellungsbeschlusses verpflichtet werden. Ein schlauer Zug, denn für die Entscheidung über diesen Antrag ist der Verwaltungsgerichtshof zuständig. Deshalb wurde das Verfahren bindend an den VGH verwiesen. Bei einem Planfeststellungsverfahren aber sind die Umweltauswirkungen kraft Gesetzes zu prüfen, woraus sich unschwer die Klagebefugnis des LNV wird herleiten lassen.
Zweiter Verhandlungstag: Entscheidungsgrundlage überholte Planungen
Am zweiten Verhandlungstag befasste sich die Kammer immerhin mit der Sache. Rechtlich gesehen war es der DUH darum gegangen, die Kappung zumindest bis zu einer Außerbetriebnahme des Kopfbahnhofs zu verhindern. Und da kam einiges zur Sprache, was zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Eine Portion gesunder Menschenverstand sowie der Blick auf frühere Urteile höherer Instanzen wären dabei hilfreich gewesen. Stattdessen stützte man sich auf den Wortlaut von 20 Jahre alten Dokumenten, die von Fakten längst überholt sind. So blieb völlig unberücksichtigt, dass nach ursprünglicher Planung die Gäubahn insgesamt lediglich vier bis höchstens sechs Monate hätte unterbrochen werden sollen. Vorgesehen war die Unterbrechung nur bis zur Inbetriebnahme von Stuttgart 21. Denn nahtlos ab der Inbetriebnahme sollte die Gäubahn nicht mehr über die Panoramastrecke von Vaihingen zum Hauptbahnhof, sondern über die Filder zum Flughafen und weiter durch den Fildertunnel in den Tiefbahnhof geführt werden.

Links im Bild der Gäubahndamm, rechts daneben die jetzigen S-Bahn-Gleise. Die eingezeichneten roten Linien zeigen, wie die S-Bahn-Gleise unschwer zur neuen Streckenführung Mittnachtstraße verschwenkt werden können.
Unterbrechungsgrund existiert nicht mehr!
Diese Unterbrechung vor der Inbetriebnahme war dem Anschluss der neuen S-Bahn-Station Mittnachtstraße geschuldet, die mit dem Gesamtprojekt in Betrieb gehen sollte. Geplant und genehmigt war, bis zur Herstellung der endgültigen Schienenverbindung die S-Bahn-Gleise provisorisch ein kurzes Stück über die Gäubahnstrecke zu führen. Dafür hätte der Gäubahndamm an einer Stelle abgebaggert werden sollen. Das hat sich die Bahn längst anders überlegt. Sie verlegt die S-Bahn-Gleise sofort neben dem Gäubahndamm. Das Abbaggern und die Unterbrechung des Gäubahnverkehrs sind deswegen unnötig geworden. Diese Erkenntnis wird bestätigt durch eine fachliche Stellungnahme von Universitätsprofessor Dr.-Ing. Eberhard Hohnecker, Professor für Eisenbahnwesen am Karlsruher Institut für Technologie, die dem Gericht vorgelegt wurde. Sie kann hier nachgelesen werden:
https://bw.vcd.org/startseite/detail/die-kappung-der-gaeubahn-ist-unnoetig-und-rechtswidrig

Direktverbindung ins Hegau und nach Zürich, bald Vergangenheit?
Unterbrechung für 6 Jahre
Somit gibt es den Grund für die Genehmigung einer (kurzfristigen) Unterbrechung überhaupt nicht mehr. Was aber Patrick Runge, Vertreter der Außenstelle Karlsruhe/Stuttgart des EBA, nicht interessierte. Denn genehmigt ist genehmigt, so seine Meinung. Egal, ob der Grund noch besteht oder nicht. Und die Unterbrechung bestehe nur bis zur Fertigstellung des geplanten Pfaffensteigtunnels, demnach nur 6 Jahre. Durch diesen dann längsten Eisenbahntunnel Deutschlands mit fast 12 km Länge soll die Gäubahn dereinst zum Flughafen fahren. Dumm nur, dass es dafür noch keine Genehmigung und erst recht für die realistisch bei mindestens 2,5 Milliarden Euro liegenden Kosten keine Finanzierung gibt. Doch das alles sei kein Problem, so das EBA und die Bahn im Schulterschluss. Runge setzte gleich noch einen drauf, denn die zahlreichen Einwendungen im Erörterungsverfahren zum ersten Teil des Tunnels halte er nicht für überzeugend und werde sie zurückweisen. Deshalb brauche er auch keinen Plan B.
Die Kammer schloss sich dieser Argumentation an, wies die Klage der DUH ab und ließ auch keine Berufung zu. Doch damit wird das Verfahren nicht beendet sein. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils wird die Umwelthilfe Beschwerde gegen die Nichtzulassung einlegen, über die dann der VGH entscheiden muss. Damit aber nicht genug. Die Umwelthilfe hat inzwischen beim EBA den Antrag gestellt, ein Planfeststellungs-Änderungsverfahren durchzuführen. Nach der zu erwartenden Ablehnung wird die DUH Klage zum VGH erheben. Und schließlich steht ein Eilantrag an, um eine Kappung vor der endgültigen gerichtlichen Klärung zu verhindern. Kurzum: Der Wahnsinn geht ungebremst weiter.
Dieter Reicherter, Sprecher Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
Fotos: Uli Fetzer, Reinhard König, Werner Sauerborn
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