NOPPERation – Volksnähe
SÖS: Hannes, Du bist nun 18 Jahre SÖS-Stadtrat und hast drei Oberbürgermeister erlebt, Wolfgang Schuster von der CDU, Fritz Kuhn von den GRÜNEN und nun Frank Nopper. Wie ordnest Du OB Nopper von der CDU ein, der nun zwei Jahre im Amt ist?
Hannes Rockenbauch: Nun, OB Nopper unterscheidet sich offensichtlich von Fritz Kuhn dadurch, dass er offen auf alle Menschen zugeht. Fritz Kuhn war unnahbar und oft verdruckst, Herr Nopper ist ein geselliger Schwabe, der ein Riesenrad aufstellt, den Fassanstich meistert und die Sehnsucht nach einem „nahbaren OB.“ erfüllt.
SÖS: Ist das nicht ein Vorteil, den Herr Nopper da gegenüber seinen Vorgängern hat?
Knallharte Machtpolitik
Hannes Rockenbauch: Auf einer menschlichen Ebene ist das sehr angenehm, wobei die Dauer-Gute-Laune von Herrn Nopper auch was Anstrengendes hat. Nicht unbedingt ein Mehrwert für eine gute politische Zusammenarbeit. Ich befürchte hinter der lächelnden Fassade steckt vor allem die knallharte Machtpolitik eines gewieften Taktikers.
SÖS: Das musst Du genauer erklären.
Hannes Rockenbauch: Das zeigt nicht zuletzt die Anstellung des ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Martin Körner zu seinem Chefstrategen. Damit hat er die SPD integriert und sich eine Mehrheit im Gemeinderat verschafft. Die SPD traut sich kaum mehr, gegen Vorschläge des Oberbürgermeisters, oft ausgedacht von Herrn Körner, zu stimmen.
SÖS: Kannst Du dafür Beispiele nennen?
Zuckerle für die SPD
Hannes Rockenbauch: Am eindrücklichsten fand ich das bei unserem Beschluss zur Klimaneutralität 2035 für Stuttgart. Wir waren uns eigentlich in der ökosozialen Mehrheit einig gewesen, dass es zu einem so ehrgeizigen Ziel auch eine ehrgeizige Umsetzungsvorlage braucht. Die wollte der OB nicht. Geschickt besserte sein Stratege Körner hinter den Kulissen in Einzelgesprächen Kleinigkeiten nach, verteilte das eine oder andere Zuckerle und mit jedem Gespräch wurde die SPD stiller. Am Ende war klar, dass sie dem OB zustimmen würde.
SÖS: Ok, diesen Punkt haben wir verstanden….
Hannes: Herr Nopper bemüht sich, sich als OB für alle in Szene zu setzen, doch er macht keine Politik für alle. Zur Not setzt er seine Meinung selbst gegen Gemeinderatsmehrheiten auf die öffentliche Agenda.
SÖS: Woran machst Du das fest?
Agiert als Pressesprecher privater Investoren
Hannes: Paradebespiel: Beim geplanten Abriss der Galeria Kaufhof und den Planungen des Investors René Benko wirbelte OB Nopper im Hintergrund: So viele nicht-öffentliche Vorbesprechungen gab es die letzten zwei Jahre zu keinem Thema. Herr Nopper vermittelte zwischen Herrn Benkos Unternehmen Signa und den kritischen Gemeinderatsfraktionen und kippte nach einem Jahr schließlich das städtische Vorkaufsrecht.
Das Vorkaufsrecht hatte seine eigene Verwaltung gezogen, um an dieser zentralen Stelle öffentliche Interessen wie eine Mischnutzung für Kultur, städtische Belange, sowie bezahlbare Wohnungen durchzusetzen. Doch OB Nopper agierte wie der Pressesprecher und Unterhändler von Herrn Benkos Firma Signa. Milliardär Benko, der wegen dubioser Geschäfte, Verdacht auf Korruption und Bestechung vor Gericht steht, konnte sich mit einem 0815-Bau für die Landeszentrale der Deutschen Bundesbank durchsetzen. Ein kleines und schwer erschließbares Grundstück darf die Stadt noch bebauen. Ein guter Kompromiss ist das nicht. Die Gemeinderatsmehrheit inclusive SPD segnete am Ende den Deal ab.
Angebot als öko-soziales Gegengewicht
SÖS: Hannes, Dir wird immer noch der Vorwurf gemacht, hättest Du im zweiten Wahlgang nicht kandidiert, wäre uns Frank Nopper erspart geblieben und Veronika Kienzle von den GRÜNEN, die wir alle schätzen, wäre jetzt Oberbürgermeisterin.
Hannes Rockenbauch: Märchen halten sich hartnäckig. Ich erklärte mich damals bereit, für Veronika Kienzle auf eine weitere Kandidatur zu verzichten. Ich schlug dem damaligen Kandidaten Marian Schreier (SPD) vor, dass wir gemeinsam für Veronika Kienzle verzichten. Doch Herr Schreier beharrte, beraten von Martin Körner, auf seiner weiteren Kandidatur und mobbte damit Veronika Kienzle aus dem Rennen.
Passenderweise ist Herr Körner heute Chefstratege von OB Nopper. Um es nochmal klar zu sagen: Erst nachdem Veronika auf ihre Kandidatur verzichtete, habe ich beschlossen, anzutreten. Mein Ziel war es, Wähler*innen ein ökologisches und soziales Gegengewicht zu den Kandidaten Nopper und Schreier anzubieten.
NOPPERation II – Autonähe
SÖS: Hannes, seit 18 Jahren setzt Du dich als SÖS-Stadtrat für eine klimagerechte Stadt ein. Wie erlebst du Oberbürgermeister Frank Nopper, wenn es ums Klima geht?
Hannes Rockenbauch: Letzten Sommer haben wir nun endlich unsere Klimaneutralitäts-Ziele auf 2035 angepasst. Für diese Ziele hat meine Fraktion so hart wie keine andere gekämpft, aber uns war auch immer klar, Ziele alleine reichen nicht. Und ich habe leider noch immer das Gefühl, dass das Verständnis für diese historisch einmalige Herausforderung die sie für unsere Stadt bedeutet, weder beim Oberbürgermeister noch bei der Stadtverwaltung in Gänze angekommen ist. Immer noch gehen Parkplätze, Straßen, Investoren, bauen, bauen, bauen, vor.
Trippelschrittchen beim Klimaschutz
Das Problem ist doch, man kann viel reden und planen. Aber dort, wo man gleich handeln könnte, passiert nichts oder zu wenig. Autofreie Innenstadt, seit Jahren von der Initiative Stuttgart Lauf´d nai vorgeschlagen, kommt nur in Trippel-Schrittchen voran. Ausbau des Radwegenetzes, rudimentär, kaum Fortschritte. Ausbau ÖPNV nur durch Ergänzungslinien, aber nicht in der Fläche. Natürlich hält dies OB Nopper nicht von seiner Inszenierung ab. Er lässt sich öffentlich mit Minister Winfried Herrmann radfahrend für die Presse ablichten.
Unbewohnbar
SÖS: Klimavorsorge in Stuttgart heißt ja vor allem: Vorbeugen gegen die Erhitzung des Kessels, welche Vorschläge Deiner FrAKTION blockiert Frank Nopper?
Hannes Rockenbauch: Ich würde nicht sagen, dass OB Nopper bewusst blockiert. Das Problem ist, er organisiert den eigentlich nötigen flächendeckenden Stadtumbau für mehr Grün, Wasser und Schatten nicht. Im Ergebnis kommt es natürlich aufs Gleiche heraus: Stuttgarts Talkessel wird so in wenigen Jahrzehnten nicht mehr bewohnbar sein.
Aber das Problem ist nicht allein der OB, seit Jahren stimmen Grüne und SPD gegen unsere Ideen für die klimagerechte Stadt. Im letzten Haushalt wollten wir ein Klimaanpassungsbudget von 20 Mio. Euro pro Jahr und ausreichendem Personal beschließen lassen. Leider haben SPD und Grüne da nicht mitgemacht. Wenn es nicht mal für absolut notwendige Dinge die angebliche Ökosoziale Mehrheit gibt, wird es echt schwierig.
Schwarzmalerei?
SÖS: Malst Du hier nicht schwarz? Stuttgart wurde 2022 als „Nachhaltigste Großstadt“ ausgezeichnet und rühmt sich, dass der Energieverbrauch sinkt und der Anteil der erneuerbaren Energien seit 2020 steigt. Der CO2– und Methan -Verbrauch gegenüber 1990 wurde sogar um 48 Prozent reduziert.
Hannes Rockenbauch: Es gibt in der Tat einzelne Fortschritte; das meiste an CO2 -Einsparung geht aber auf den erneuerbaren Energieanteil am bundesdeutschen Strommix zurück, das ist also gar kein Stuttgarter Erfolg. In Stuttgart werden immer noch nur ca. 2 % des Energieverbrauches erneuerbar hergestellt. Und in der Verkehrspolitik gibt es eigentlich überhaupt keine CO2 -Einsparung.
Kreuzzug der Autohasser?
Hannes Rockenbauch: Ich erinnere mich noch gut an eine Gemeinderatsitzung, auf der OB Nopper die Gemeinderatsmehrheit dafür geißelte, dass diese eine Petition an der Bundesregierung gerichtet hatte für mehr kommunale Souveränität in der Gestaltung von Tempolimits auf dem Stadtgebiet. Das Ganze gipfelte darin, dass er diese harmlose Initiative als Einfallstor für einen Kreuzzug der Autohasser bezeichnete. Das verhindert den notwendigen Umbau zur Klimaneutralität. Es ist grotesk. Beim Jubiläum 100 Jahre Hauptbahnhof, der gerade durch S21 zerstört wird, lässt sich der Oberbürgermeister strahlend wie ein kleiner Bub als Lokführer ablichten. In einem Projekt, das eine Klimasünde ist und geradezu das Gegenteil von intelligenter, umweltschonender Mobilität.
SÖS unterstützt Klimaratschlag für Stuttgart
SÖS: Wen siehst du als Verbündete von SÖS für eine klimagerechte Mobilität?
Hannes Rockenbauch: Es gibt in Stuttgart viele tolle Umweltinitiativen. Sie müssen gemeinsam eine politische Kraft werden, die nicht mehr überhört wird. Sie müssen sich vernetzen. Die Initiative von KUS (Klima- und Umweltbündnis Stuttgart) für einen Klimaratschlag Stuttgart finde ich genau richtig.
NOPPERation III – Rechtsruck
SÖS: Hannes als langjähriger SÖS-Gemeinderat und FrAKTIONSvorsitzender bist Du ein Allrounder der Stuttgarter Kommunalpolitik. Klimagerechtigkeit und eine menschenfreundliche Mobilität stehen seit 18 Jahren auf Deiner politischen Agenda. Bei diesen globalen Themen versagt auf lokaler Ebene Deiner Meinung nach Oberbürgermeister Frank Nopper. Aber wie schätzt Du ihn bei anderen lokalen Themen ein?
Ein OB für alte weiße Männer
Hannes Rockenbauch: Hier verfolgt er eine typische populistische Taktik. Nebenkriegsschauplätze aufmachen, den Mann der Ordnung spielen. Wenn er sich z.B. gegen die Gender-Rechtschreibung wehrt, als hätten wir nicht andere Probleme, oder wenn er sexualisierte Gewaltdarstellung auf dem Volksfest verteidigt, wenn er über Tamponspender auf Männertoiletten lästert, dann sieht man, dass er eben ein OB für alte weiße Männer und deren Weltsicht ist. Dazu gehört eine ordentliche Portion Law and Order, die so gar nicht zum liberalen Großstadt-Anspruch Stuttgarts passt.
SÖS: Welche Beispiele fallen Dir dazu ein?
Hannes Rockenbauch: Ich erinnere an die Platzsperrungen im ersten Coronasommer, sein Auftreten nach der sogenannten Krawallnacht. Oder gerade seinen absurden Einsatz für eine Messerverbotszone in der Innenstadt. Die ist absurd aus zwei Gründen: Erstens: Laut Kriminalitätsstatistik gibt es kein Problem, Stuttgart wird immer sicherer. Und zweitens: Mit der räumlichen und zeitlichen Grenze der Verbotszone zielt diese Maßnahme speziell nur auf Jugendliche.
Aber die Lösungen für Aggressivität und Perspektivlosigkeit bei Jugendlichen liegen doch woanders: z.B. mehr Sozialarbeiter, bessere Freizeitangebote, mehr Betreuung sogenannter Problemfamilien, aber vor allem mehr Perspektive auf echte Teilhabe. Zu all diesen Themen hat unsere Fraktion seit Jahren Anträge gestellt.
Wirklichkeitsferner Visionär
SÖS: Welches Ziel verfolgt der OB mit dieser Politik?
Hannes Rockenbauch: Die Diskursverschiebung nach rechts durch die Nopperation Volksnähe ist das eine. Gefährlich wird das Ganze dadurch, dass damit von der Hauptrichtung von Noppers Politik abgelenkt wird: Bei allen wichtigen Themen, ob Klima, Auto und Mobilität oder Wohnen vertritt er knallhart Industrie- und Investoreninteressen. Das muss im Interesse der Zukunft aller Stuttgarterinnen und Stuttgarter verhindert werden.
SÖS: Im Gemeinderat und der Presse wurdest Du ja lange als radikaler wirklichkeitsferner Visionär gehandelt und oft zynisch belächelt. Hat sich das geändert? Schließlich sind viele Deiner Vorschläge bei anderen Parteien in der Diskussion, z.B. kostenloser Nahverkehr, City Maut, keine Grundstücke mehr verkaufen.
Auf Lernprozesse setzen
Hannes Rockenbauch: Ich lese den Kolleg*innen im Gemeinderat bei einer der nächsten Sitzungen aus dem Spiegel vor, der in seiner Titelgeschichte zu Karl Marx am Jahresanfang 2023 schreibt: „Können wir mit dieser Wirtschaftsordnung so weitermachen? Mit einem Klimakiller-Kapitalismus, der auf immer mehr getrimmt ist: immer mehr Konsum, Profit, Wachstum? Und dabei stets mehr Ungerechtigkeit hervorbringt?“
Ich setze hier auf Lernprozesse bei anderen Fraktionen. Der Anpassungskurs, den die GRÜNEN bis zur Selbstaufgabe unter dem ehemaligen Oberbürgermeister Fritz Kuhn gefahren sind, scheint sich gerade zu ändern, und die SPD muss sich entscheiden: Martin Körner- und damit OB-Nopper-Treue – oder selbst Denken.
SÖS: Neben dem Gemeinderat gibt es ja noch die Verwaltung …
Hannes Rockenbauch: In der Verwaltung sitzen hunderte Kolleg*innen, die ein sozialeres und klimagerechteres Stuttgart wollen. Aber unter Oberbürgermeister Fritz Kuhn und dem ehemaligen Finanzbürgermeister Michael Föll wurde die Verwaltung nicht nur kaputtgespart, sondern auch Initiativen aus der Verwaltung abgeblockt. Beides muss korrigiert werden, vor allem müssen Ideen und außerparlamentarische Initiativen gefördert werden.
Mit SÖS zu einer Vorzeigestadt
SÖS: Hannes, Hand aufs Herz, glaubst du wirklich, dass sich außerparlamentarisch Druck aufbauen lässt?
Hannes Rockenbauch: Das glaube ich nicht, ich weiß es. Ich habe erlebt, was die S21-Obenbleiben -Bewegung im Rathaus und für Stuttgart bewirkt hat. Das war ein richtiger Aufbruch. Außerdem bieten im nächsten Jahr die Wahlen zum Gemeinderat die Gelegenheit, Klimablockierer*innen abzuwählen. Einzelpersonen und Initiativen, die glauben, sie seien gegen einen OB oder einen trägen Gemeinderat machtlos, entgegne ich: Habt Mut! Schließt Euch fest zusammen wie bei S 21! Leistet Widerstand gegen Profitgier, Energie- und Ressourcenverschwendung. Lasst uns Stuttgart gemeinsam mit SÖS zu einer sozial- und klimagerechten Vorzeigestadt machen. SÖS: Hannes, wir danken Dir für das Interview. Das Interview mit SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch führte für die Redaktion Peter Hensinger. Teil I und Teil II erschienen bereits als SÖS-Newsletter und können hier auf der SÖS-Homepage nachgelesen werden.
SÖS: Hannes, wir danken Dir für das Interview.
Das Interview mit SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch führte für die Redaktion Peter Hensinger. Teil III folgt in der kommenden Woche und wird hier ergänzt.
Bilder von Hannes: Homepage Hannes Rockenbauch
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