“Lützerath bleibt.” So prangt es auf dem an eine Hauswand gepinnten Banner in dem längst von der ursprünglichen Bewohnerschaft verlassenen Weiler an der Abbruchkante des Kohle-Tagebaus Garzweiler.
Vor einem Jahr war ich im Braunkohlerevier Garzweiler, um mir vom Kampf um Lützerath und fünf weiteren vom Braunkohle-Abbau gefährdeten Ortschaften ein Bild zu machen. In Lützerath wohnte schon damals niemand mehr, das Dorf war in der Hand von Aktivist:innen, die dort bei Wind und Wetter ausharrten. Beim Besuch der übrigen Dörfer “stolperte” ich zunächst über einen Wegweiser, der mich zu einem gigantischen Neubaugebiet führte, in dessen Ortsschild sämtliche Namen der alten Dörfer auftauchten, versehen mit einem “Neu”. Ich begriff, dass die Umsiedelung in schicke Einfamilienhäuser bereits weit fortgeschritten war und das Gros der Dorfbewohner das Entschädigungsangebot von RWE gerne annahmen, als lukrative Chance, ein neues Leben und Wohnen anzufangen. Entsprechend präsentierten sich die alten Dörfer großteils entvölkert mit verwilderten Gärten, entsetzlich still. Widerstandssymbole nur sehr vereinzelt. Hier wollte gar niemand mehr wohnen, und eine Rückkehr war nicht vorgesehen.
Lützerath bleibt nicht. So ging es Anfang Oktober durch den Äther, als grün geführte Ministerien im Bund und in NRW ein Kohlepaket mit RWE vereinbarten. Der Deal: Die RWE- Braunkohlekraftwerke Neurath F und G sowie Niederaußem K gehen nicht erst Ende 2038, sondern bereits Ende März 2030 vom Netz. Um angesichts der Energiekrise kurzfristig Gas zu sparen, sollen Braunkohlevorkommen genutzt werden und hierzu die Blöcke Neurath D und E, die Ende 2022 abgeschaltet werden sollten, nun bis Ende März 2024 in Betrieb bleiben. Lützerath muss weichen, um die darunter liegenden Kohlevorkommen zu fördern. Die ebenfalls vom Abriss bedrohten Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath dagegen bleiben erhalten.
Nach meinen Erfahrungen in Lützerath und Co letztes Jahr hielt sich meine emotionale Betroffenheit angesichts des “Kompromisses” in Grenzen. Dennoch bleiben Fragen. Nicht nur, warum der Braunkohleausstieg 2038, noch bis vor kurzem in Stein gemeißelt, nun plötzlich 8 Jahre früher möglich ist? Der Deal hat bei näherem Hinsehen doch viel von einer Mogelpackung. Durch den früheren Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier werden nach Angaben der Ministerien rund 280 Millionen Tonnen CO2 nicht mehr emittiert. Bravo, klingt gut und grasgrün! Dass zuvor aber tatsächlich noch das Dorf Lützerath abgebaggert werden muss, passt partout nicht ins Bild und ist ein Widerspruch. Denn unterm Strich werden eben doch noch Millionen Tonnen Kohle gefördert und verbrannt – die in der jetzigen Krise vielleicht gar nicht gebraucht werden.
Laut einer Studie der “Coal Exit Reasearch Group” sind nämlich noch 300 Millionen Tonnen in den Bereichen der beiden Tagebaue Hambach/Garzweiler II förderbar, ohne dass Lützerath zerstört werden muss. Die Studie weist zudem darauf hin, dass zur Einhaltung der 1,5°-Grenze seit Anfang diesen Jahres nur noch ein Restbudget von 40 Millionen Tonnen Kohle bestünde.
Karsten Smid, Klimaexperte von Greenpeace, sagt: „Die 1,5 Grad-Grenze verläuft vor Lützerath. Eine glaubwürdige Klimapolitik darf nicht zulassen, dass RWE diese Grenze überschreitet.”
Das Dorf Lützerath ist also mehr als ein Symbol. Es muss bleiben, ebenso wie die fünf Geisterdörfer, in die in Zukunft vielleicht Geflüchtete einziehen oder Menschen auf der Suche nach günstigem Wohnraum.
Text und Bilder: Guntrun Müller-Enßlin