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Smart City: Alles digital – Folgen egal?

25. Juli 2023

Stadtrat Hannes Rockenbauch und Peter Hensinger im Forum 3

Bei dem von Bitkom veröffentlichten Smart City Index 2022 liegt Stuttgart auf den fünften Platz. „Damit gehört Stuttgart zu den deutschlandweit besten Großstädten in Sachen Digitalisierung“, lautet das Eigenlob der Stadt Stuttgart (1).

Wundertüte mit Kleingedrucktem

„Der Begriff ‚Smart City‘ ist eine schillernd-bunte Wundertüte – er verspricht allen das, was sie hören wollen: Innovation und modernes Stadtmarketing, effiziente Verwaltung und Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Sicherheit und Bequemlichkeit, für Autos grüne Welle und immer einen freien Parkplatz …

So belohnt zum Beispiel die Traffic-App von Enschede Menschen für gutes Verhalten: zu Fuß gehen, Fahrrad fahren, öffentliche Verkehrsmittel nutzen – ironischerweise mit einem Tag freiem Parken in der Stadt. Was man erst im Kleingedruckten der App findet: „Die gesammelten persönlichen Bewegungsprofile gehen an eine Firma namens Mobidot“ heißt es in der Rede zum Big Brother Award 2018 für die Smart City Pläne (2).

Droht Massenüberwachung?

Droht hinter dem harmlosen Begriff „Smart City“ auch in Stuttgart die „Safe City“, die total überwachte, ferngesteuerte und komplett kommerzialisierte Stadt? Oder gar die staatliche digitale Massenüberwachung wie in der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas?

Ulrich Morgenthaler (Forum 3), Hannes Rockenbauch (Stadtrat) und Peter Hensinger (diagnose:funk) diskutierten mit den Anwesenden über die digitale Transformation

Auch darum ging es im Juli in der Veranstaltung „Smart City Stuttgart – was wird hier tatsächlich geplant?“ mit Peter Hensinger und SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch. Trotz der Gluthitze von 35 Grad im Stuttgarter Kessel kamen 75(!) Besucherinnen und Besucher ins Forum 3. Anlass war die Gründung des städtischen „Amtes für Digitalisierung“ mit 322 Stellen. Dort soll „eine noch fehlende Smart City‐Strategie“ erst erstellt werden (3).

Privatsphäre? Ressourcenverbrauch?

Digitalisierungs-Experte Hensinger kritisierte die fehlende öffentliche Diskussion über die Aufgaben des Amtes im Gemeinderat und in der Stadtgesellschaft. Das Amt selbst spricht in seiner Selbstdarstellung nur von den Chancen, die die „Smart City Stuttgart.“ biete. Peter Hensinger: „Digitalisierung gilt auch hier in Stuttgart unhinterfragt als Fortschritt. Technikfolgenabschätzung? Fehlanzeige!“

Er nennt folgende Gefahren einer Digitalisierung:

  1. Bürger:innen werden zu gläsernen, überwachten Datensätzen ohne Privatsphäre.
  2. Die Explosion des Energie- und Ressourcenverbrauches durch das Internet der Dinge und die Vernetzung aller Dienstleistungen, wie z. B. das autonome Fahren.
  3. Die damit verbundene enorme Mobilfunkstrahlenbelastung durch hunderte neue Sendeanlagen (4G- und 5G-Kleinzellen). Technik, fordert Hensinger, müsse sinnvoll genutzt werden.

Gefahren für Grundrechte

Obwohl die Stadt Stuttgart an der Erarbeitung der „Smart City Charta“ der Bundesregierung beteiligt war, findet sich kein Wort des städtischen Amtes zu der in der Charta genannten Risiken und Gefahren der Digitalisierung der Verwaltung und des öffentlichen Lebens:

  • „Niemand soll zur Nutzung digitaler Strukturen gezwungen werden. Kommunen müssen ihren Einwohner:innen  zusätzlich analoge Strukturen anbieten. …. Es ist darauf zu achten, dass keine neuen Machtstrukturen entstehen, die eine Gefahr für die Grundrechte, die Sicherheit und Privatsphäre jedes Einzelnen darstellen. Algorithmen dürfen weder demokratisch gewählte Gremien noch die Verantwortlichkeit natürlicher oder juristischer Personen ablösen.“

Durchaus selbstkritisch forderte SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch, Nutzen und Risiken der Digitalisierung sollten endlich im Gemeinderat diskutiert werden. Dazu brauche es eine Beteiligung von Bürger:innen wie in Barcelona (4).

SÖS fordert Recht auf analoges Leben auf Augenhöhe

Geht die Digitalstrategie Barcelonas auf, verlieren die Konzerne ihre Datenhoheit und die Alleinstellung bei der Entwicklung und dem Einsatz von Technologien im städtischen Raum. Bewohner:innen  könnten über die Daten, die sie im städtischen Leben generieren, zumindest teilweise bestimmen und sie auch löschen. Hensinger forderte eine Technikfolgenabschätzung ein:

„Es dürfen sich nicht die Fehler des Autohypes mit den Stadtautobahnen der 60er Jahre wiederholen, diesmal als Digitalisierungshype für Datenautobahnen.”

Peter Hensinger und SÖS fordern Stadtverwaltung und Gemeinderat auf, folgende Fragen zur „Smart City“ zu beantworten: Wie werden Daten und Privatsphäre der Bürger:innen geschützt? Wie wird das Recht auf ein analoges Leben auch ohne eigene digitale Endgeräte garantiert? Ebenso der analoge Bürger:innenservice auf Augenhöhe? Wie wird über den Energie- und Ressourcenverbrauch der geplanten Smart City informiert?


Quellen:

(1) Homepage der Stadt Stuttgart zur Smart City: stuttgart.de

(2) Aus der Rede zum Big Brother Award 2018 für die Smart City: 
https://bigbrotherawards.de/2018/konzept-smart-city

(3) Bericht zur Veranstaltung im Forum 3 und Vortragsmanuskripte: https://www.diagnose-funk.org/1993

(4) Digitalisierung und Bürgerbeteiligung in Barcelona: https://www.bauwelt.de/dl/1347479/Neu-vernetzt-Barcelona-Digitale-Stadt.pdf


Bilder:
Titelbild: Stadt Stuttgart
Gruppenbild: diagnose:funk


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