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Baukultur braucht Koordinierungsstelle

24. April 2023

Nach jahrelangem Tauziehen um das Schicksal der Villa Hajek stellte die Stadt dem Investor Markus Benz endlich ein Ultimatum: Bis zum 23. April sollte er dem Baurechtsamt ein Baugesuch mit Entwürfen vorlegen, die dem Denkmalschutz Rechnung tragen. „Es bleibt abzuwarten, ob damit endlich Bewegung in die „Causa Hajek“ kommt, die zuletzt immer bizarrere Blüten trieb“, kommentiert SÖS-Gemeinderätin Guntrun Müller-Ensslin die unendliche Geschichte um das Wohnhaus des 2005 verstorbenen berühmten Stuttgarter Malers, Grafikers und Bildhauers Otto Wilhelm Hajek.

Vom Abriss bedroht

Die Villa Hajek ist nicht das erste und schon gar nicht das einzige Beispiel eines wenig rühmlichen Umgangs mit Baukultur in Stuttgart; die Erfahrungen lassen sich beliebig erweitern. So misslang das Ansinnen von Architekturhistorikern, die für knapp acht Millionen Euro verkaufte Schmitthenner-Villa am Kriegsbergturm unter Schutz stellen zu lassen. Weitere geschichtsträchtige architekturhistorische Bauwerke – nicht nur Villen im Privatbesitz – sind abbruchgefährdet oder befinden sich bereits im Abbruchprozess.

Jüngstes Beispiel ist das Gebäude der ehemaligen Sportarena an der Ecke Königstraße/Schulstraße, der den Profitinteressen der Signa-Gruppe des österreichischen Immobilienmoguls René Benko weichen muss, die dort einen Neubau mit Büros errichten will.

Wunder Punkt: Fehlender Diskurs

Für Müller-Ensslin, die auch kulturpolitische Sprecherin unserer Gemeinderatsfraktion ist, zeigen die genannten Fälle „dass sich der Umgang mit architekturhistorischer, kulturell bedeutender Bausubstanz in Stuttgart dringend und grundlegend ändern muss.“

Doch das ist für Stuttgart Neuland, wie Prof. Dr. Martina Baum, Direktorin des Städtebau-Instituts und Professorin für Stadtplanung und Entwerfen an der Universität Stuttgart in der Veranstaltung unserer Rathausfraktion „Stuttgart reißt sich ab“ am 3. April aufzeigte.

Baum beklagte als „wunden Punkt“, dass der Diskurs über Baukultur und die entsprechende Bildung bislang fehle. Sie regte an, dass letztere bereits in Kindergärten und Schulen beginnen müsste, und wünschte sich unter anderem eine diversere Besetzung von Architektur-Wettbewerben, um das derzeitige Baubild stärker zu beeinflussen.

Baukultur: Mehr als Denkmalschutz

Für SÖS ist Baukultur nicht mit dem Denkmalschutz erledigt. Zur Baukultur gehört mehr als denkmalgeschützte Gebäude: „Auch Bauwerke, die architekturhistorisch von Bedeutung sind, zählen dazu, Gebäude, die typisch für ihre Zeit sind, in denen sich der Zeitgeist spiegelt,“ so Müller-Ensslin: “Das heißt, auch Nachkriegsgebäude sind von Belang.“

Beispiele sind etwa das Hotel am Schlossgarten, das von der LBBW abgerissen werden sollte, jedoch heute saniert ist. Unsere Gemeinderatsfraktion stellte als einzige Fraktion schon vor Jahren einen entsprechenden Antrag. Oder die oben erwähnte Schulstraße, als eine der ersten Fußgängerzonen mit seinen beiden Etagen und verwinkelten Gebäuden ein spannender Gebäudekomplex.

Mit Stadtspaziergängen zum Stadtgespräch

Man kann diese Art von Baukultur am besten schützen, wenn man sie in der Bevölkerung ins Gespräch bringt. Was zu seiner Zeit von Bedeutung war, darüber muss man reden und um Verständnis werben. Hier setzt für SÖS der Gedanke einer Koordinierungsstelle Baukultur beim Kulturamt an. Müller-Ensslin: „Die Bedeutung entsprechender Gebäude(komplexe) hervorheben und ein Bewusstsein dafür schaffen, sie zum Stadtgespräch machen durch Stadtspaziergänge etc. – und sie dadurch vor leichtfertigem Abriss durch Investoren zu schützen – dieser Aufgabe könnte sich eine Koordinierungsstelle Baukultur widmen.“

Natürlich stellt sich die Frage, wo fängt man an, wo hört man auf? Architekturhistorische Kriterien entwickeln, was ist schützenswert, was weniger – auch das könnte zu den Aufgabenfeldern der von SÖS geforderten Koordinierungsstelle für Baukultur gehören.

Titelbild: Die FrAKTION
Bild Hajek-Plastik in S-West: Privat


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