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NDW22/24 Interview: Fahrkartenautomaten ab ins Museum!

27. Mai 2024

Fahrkartenautomaten ab ins Museum! Was es damit auf sich hat, erfahren wir heute von Andrea Schmidt, die für SÖS auf Platz 3 zur Kommunalwahl in Stuttgart kandidiert. Die SÖS-Bezirksbeirätin lebt im Stuttgarter Westen. 

SÖS: Andrea, du kandidierst auf der weiblichsten Liste in der 20-jährigen Geschichte, die SÖS je aufgestellt hat … Was bedeutet das für deine Kandidatur und die feministischen Perspektiven in der Kommunalpolitik?

Feministische Perspektive der Verkehrsplanung

Andrea Schmidt: Die Zukunft ist weiblich, vielmehr die Zukunft muss weiblicher werden. Es müssen noch mehr Frauen in patriarchale Strukturen, wie den Stuttgarter Gemeinderat, aber nicht als Quote oder um dort vorzukommen, sondern um diese Strukturen zu verändern. Im Selbstverständnis von SÖS steht u.a. „Gemeinsam kämpfen wir aktiv gegen Patriarchat …“ Und die aktuelle Liste von SÖS ist ein Beweis dafür.

Eine feministische Perspektive in der Kommunalpolitik sehe ich in der Verkehrsplanung. Stuttgart ist immer noch Autostadt. Von Männern für Männer geplant und umgesetzt. Automobilität ist männlich dominierte Mobilität. Frauen nutzen statistisch gesehen deutlich mehr den ÖPNV, fahren mehr Fahrrad und gehen zu Fuß. Diese feministische Perspektive muss in der Mobilitätsplanung berücksichtigt werden, um sie nachhaltiger und inklusiver zu gestalten, auch angesichts der Klimakrise.

Andrea Schmidt initiierte das Bürgerbegehren „Bus und Bahn kostenlos!“, im Bild mit Oskar Otto und Hannes Rockenbauch

SÖS: Seit 2019 vertrittst du SÖS im Bezirksbeirat-Stuttgart-West u. a. im Klimaausschuss. Was für Erfahrungen hast du dort gemacht?

Wir haben nur noch 11 Jahre

Andrea Schmidt: Ich habe etwas Zeit gebraucht, um mich in die Strukturen des Bezirksbeirates einzufinden. Ich habe auch immer wieder gehadert, ob meiner politischen Wirksamkeit in einem solchen Gremium. Doch ich habe sehr viel gelernt: über die Verwaltung, wie Anträge gestellt werden … Die Organisationsstrukturen in der Verwaltung müssen dringend verändert werden, flache Hierarchien mit kurzen Informations- und Entscheidungswegen, um endlich in die Umsetzung des Klimaziels 2035 zu kommen, wir haben nur noch 11 Jahre.

Im Klimaausschuss haben wir uns mit dem Ausbau der Solarenergie im Stuttgarter Westen beschäftigt, und dazu zwei große Info-Veranstaltung „Wie kommt eine Solaranlage auf mein Dach?“ organisiert. Auch die Solarscouts sind daraus entstanden. Jetzt ist die Wärmewende dran. Aber auch bei der kommunalen Wärmeplanung passiert es wieder: Ein gesellschaftliches Problem wird individualisiert.

Stadt muss mit gutem Beispiel vorausgehen

Andrea Schmidt: Für die Klimaneutralität bis 2035 in Stuttgart ist die Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung dringend notwendig. Doch die Problemlösung wird auf die Bürger*innen abgewälzt. So geht’s nicht. Die Stadt braucht dringend wirklich einen Plan, sie muss die Organisation und Umsetzung verantwortlich übernehmen, sie muss Bürger*innen an die Hand nehmen, sie unterstützen u.a. auch mit wesentlich höheren Fördermitteln. Und die Stadt muss als gutes Beispiel bei ihren eigenen Liegenschaften voran gehen.

SÖS: Was hat dich persönlich motiviert und sozialisiert, dich politisch und wo überall zu engagieren?

Andrea Schmidt: Politisch sozialisiert wurde ich in der Friedensbewegung in Mutlangen und in der Frauenbewegung. Die Zeit der Frauenbewegung, in der folgender Sponti-Spruch noch nachhallte: „Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad“. Frauen wie Emma Goldman, Clara Zetkin, Rosa Luxemburg sind für mich immer noch Orientierungshilfen. Eine revolutionäre Realpolitik ist möglich. Was ist meine politische Motivation? Ich möchte mit anderen Menschen eine Gesellschaft gestalten, die sozialgerecht und klimagerecht ist. Die für alle ein gutes Leben garantiert. Ohne Sexismus, ohne Rassismus, antifaschistisch und gewaltfrei. Dafür müssen wir uns vernetzen und Banden bilden.

Andrea Schmidt war 2004 Mitbegründerin der Freien Aktiven Schule

Pädagogische Vielfalt in Kitas und Schulen erhalten

Auch die Gründung einer demokratischen Freien Aktiven Schule, 2004, war politisch motiviert. Wie kann und soll ein Lern- und Lebensort für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gestaltet werden? Wie werden gute Entscheidungen für alle getroffen? Mit Mehrheitsentscheid oder im Konsens oder soziokratisch? Mit Leidenschaft durch alle Höhen und Tiefen, die Schule gibt’s heute noch. Deshalb setze ich mich auch weiterhin für den Erhalt der pädagogischen Vielfalt in Kitas und Schulen ein.

Ja und dann Stuttgart 21, mit der Gründung des Parkschützerrates haben wir einen Versuch der basisdemokratischen Organisierung der Aktiven gegen Stuttgart 21 gestartet. Und gleichzeitig habe ich die Vernetzung auf bundes- und europäischer Ebene vorangetrieben. Großartig und beeindruckend waren die Foren gegen unnütze Großprojekte, wertvoll und inspirierend die Kontakte zu NO TAV, Rosia Montana, ZAD, ACIPA, Non LGV … gekrönt mit dem Forum in Stuttgart 2013. ACIPA und Rosia Montana haben ihren politischen Kampf gewonnen, aber es geht nicht ums Siegen, es geht ums Tun.

Zwei große Klimacamps organisiert

Jetzt bin ich u.a. aktiv bei Kesselbambule. Zwei große Klimacamps haben wir gemeinsam in Stuttgart organisiert, mit viel politischer Bildungsarbeit, aber auch die Vernetzung verschiedener Initiativen und Bewegungen aus der Klima- und Umweltbewegung in Stuttgart und Region steht im Mittelpunkt. „Convergence des luttes“ für mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Klimagerechtigkeit.

SÖS: „Recht auf dein Zuhause“, plakatiert SÖS im Wahlkampf. Du bist im Westen zuhause. Wie reagiert dein Zuhause, deine Familie und Freund*innen und Weggefährt*innen auf deine SÖS-Kandidatur für den Gemeinderat? 

Andrea Schmidt: Meine Familie steht voll hinter meiner Kandidatur für den Gemeinderat. Unsere zwei Söhne, die noch daheim wohnen, unterstützen mich vor allem mit kulinarischen Köstlichkeiten, ohne Mampf kein Wahlkampf. Unser ältester Sohn lebt in Hamburg, der unterstützt mich via Instagram. Einige Freund*innen und Weggefährt*innen kandidieren diesmal auch für SÖS und sind jetzt bei SÖS organisiert, was mich sehr, sehr freut.

Die Zukunft: Einfach einsteigen in Bus und Bahn ohne Kontrollen und komplizierte Automaten

Kostenloser Nahverkehr verändert Mobilitätsverhalten

SÖS: Du mobilisierst gerade für das nächste „Platz da!“- Picknick auf der B14“ am Sonntag, den 2. Juni 2024. Können da alle mitmachen? Und um was geht es dabei?

Andrea Schmidt: Klar können alle mitmachen. Der öffentliche Raum wird viel zu sehr vom Autoverkehr dominiert. Ich möchte den öffentlichen Raum neu aufteilen: Mehr Raum für sicheren Fuß- und Radverkehr mehr Raum für Spielen und Leben. Die B14, diese Stadtautobahn ist kein Naturgesetz. Platz da! soll erlebbar machen, wie dieser öffentliche Raum genutzt werden kann, mit mehr Aufenthaltsqualität für Menschen.

SÖS: Fahrkartenautomaten gehören für dich ins Museum???

Andrea Schmidt: Mit der Kampagne Freifahren Stuttgart kämpfe ich seit vielen Jahren für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Diese Kampagne war meine erste Kampagne nach meiner knapp 2-jährigen Weiterbildung „Weltverändernde Praxis“ bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Und ich bin immer noch überzeugt, dass ein kostenloser Nahverkehr das Mobilitätsverhalten der Menschen verändert. Und ein Blick in andere Länder und Städte, die bereits einen kostenlosen ÖPNV eingeführt haben, bestätigt dies. Deshalb bin auch eine der drei Initiator*innen des Bürgerbegehrens “Bus und Bahn kostenlos”. Kostenloser ÖPNV ist ein wirksamer Beitrag zu mehr Klimagerechtigkeit und gegen soziale Ausgrenzung – solidarisch finanziert. Angesichts der Klimakrise ist eine Mobilitätswende jetzt dringend notwendig.

Für ein respektvolles und solidarisches Miteinander

SÖS: Du willst ein gutes Leben für Alle. Was verstehst du darunter?

Andrea Schmidt: Mit SÖS setze ich mich für ein respektvolles und solidarisches Miteinander ein. Alle hier lebenden Menschen sollen sich wohl und zugehörig fühlen: in einer offenen und vielfältigen Gesellschaft. In einer menschengerechten Stadt.

SÖS: Herzlichen Dank. 

Die Fragen für die SÖS-Newsletteredaktion stellte Paul Russmann

Bilder: SÖS, alexandr podvalny / unsplash


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